Russland

Moskaus Teilmobilmachung betrifft auch Weltklasse-Athleten und Olympiasieger

Russlands Sportwelt ist in Aufruhr: Kaum hatte man die umfangreichen Sanktionen verkraftet, mit denen der Westen russische Athleten belegte, kommt die Nachricht über die Teilmobilmachung. Spitzensportler sind nicht verschont.
Moskaus Teilmobilmachung betrifft auch Weltklasse-Athleten und OlympiasiegerQuelle: Sputnik © Anton Denisov

Medienberichten zufolge werden Spitzensportler, Trainer und Sportfunktionäre in Russland von Einberufungsämtern vorgeladen. Die Nachrichtenagentur RIA Nowosti meldete in den vergangenen Tagen:

"Zu den ersten, die eine Vorladung vom Einberufungsamt erhielten, gehörte der bekannte MMA-Kämpfer Wladimir Minejew, der stets seine Zugehörigkeit zu den Fallschirmjägern betont hatte. Der 32-jährige Sportler erklärte sofort, dass er bereit sei, an die Front zu gehen und seinem Land zu dienen. Minejew betonte, dass er nicht davonlaufen werde und verstehe, dass Russland derzeit Fallschirmjäger brauche."

Der russische Schachgroßmeister Sergei Karjakin, der noch keine Einberufung erhalten hatte, erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur, er sei bereit, wenn nötig an die Front zu gehen. "Ich werde mich nicht hinter dem Schachbrett verstecken", sagte der gebürtige Krimianer gegenüber Ria Nowosti.

Laut Medien erhalten auch Sportler aus Nationalmannschaften Vorladungen. Dies betreffe alle Sportarten von Fußball bis Eiskunstlauf. Die Nachrichtenagentur Ria Nowosti meldet, dass mindestens drei Trainer und mehrere Ruderer der russischen Nationalmannschaft Vorladungen vom Militär erhalten hätten. Dies teilte Aleksej Swirin, Präsident des russischen Ruderverbandes und Olympiasieger von Athen 2004, der Agentur mit.

"Dies ist ein dringendes Problem für Sportler und Trainer. Wir erhalten bereits Hinweise, dass Vertreter der Rekrutierungsbüros zu ihnen kommen. Derzeit haben wir zwei oder drei Trainer und etwa fünf Athleten, die solche Aufforderungen erhalten haben", sagte Swirin und betonte:

"Im Verhältnis zur Gesamtmasse der Sportler ist dies ein minimaler Prozentsatz. Bislang trainieren alle und bereiten sich auf Wettbewerbe vor. Wir arbeiten derzeit in einem Einsatzmodus. In zwei Wochen haben wir Qualifikationsturniere für die zentralisierte Ausbildung für die Saison 2022/23".

Auch russische Eishockeyspieler können einer Vorladung nicht entgehen. Wie Medien berichten, habe der Russische Eishockeyverband dem Sportministerium bereits Listen von Spielern, Trainern und Schlüsselpersonal vorgelegt, um für diese einen Ausschluss aus der Teilmobilmachung zu erreichen. "Wir haben dem Sportministerium Listen mit Trainern, Spielern und Schlüsselpersonal vorgelegt. Von nun an liegt es nicht mehr in unserer Hand. Das Sportministerium wird den Vorschlag der Regierung vorlegen. Welche Entscheidung auch immer getroffen wird – das war's dann", sagte Dmitri Kurbatow, Exekutivdirektor des Russischen Eishockeyverbandes, gegenüber der Online-Fachzeitung Championat.

Die Vorladungen für die beiden russischen Eiskunstläufer der Nationalmannschaft Dmitri Aliew und Makar Ignatow sollte man jedoch überdenken, meint die Olympiasiegerin Natalia Bestemjanowa. Da die Sportler über keine Kampferfahrung verfügten und damit die Kriterien der Teilmobilmachung nicht erfüllten, wären ihre Vorladungen übrigens ohnehin ein Irrtum. Bestemjanowa ist der Ansicht: Für das Land wäre es vorteilhafter, wenn die Athleten weiterhin an Wettkämpfen teilnehmen würden. In einem Gespräch mit dem Sportmedium Metaratings sagte sie:

"In einer solchen Situation müssen wir uns fragen, was für das Land wichtiger ist: Dass die Jungen, die überhaupt nicht kämpfen können, an die Front gehen oder dass sie weiterhin an Wettkämpfen teilnehmen? Meiner Meinung nach wäre es für das Land wichtiger, dass sie uns im Sportbereich vertreten. Ich bin sicher, dass die Jungs jetzt in engem Kontakt mit dem Verband stehen und unterstützt werden."

Unterdessen erklärte die ehemalige russische Biathletin Anna Bogali, das Sportministerium arbeite daran, Profisportler vor der Wehrpflicht zu schützen. Hierauf entgegnete der bekannte Sportkommentator Dmitri Guberniew im Gespräch mit championat.com, dass auch einige russische Biathleten Vorladungen vom Rekrutierungsbüro erhalten hätten. Auf Telegram schrieb er:

"Weiß Bogali, dass mehrere Biathlon-Athleten Vorladungen erhalten haben? Das sind aber Sportler auf dem Niveau der russischen Nationalmannschaft. Die Jungs haben darum gebeten, ihre Namen noch nicht zu nennen."

"Wir warten auf eine Stellungnahme des Russischen Biathlonverbandes."

Russlands Sportminister Oleg Matytsin hat in den vergangenen Tagen den Athleten zwar versprochen, sich mit der Frage eines Aufschubs der Teilmobilmachung für die Nationalmannschaft zu befassen, sagte aber in einem Interview mit Match TV:

"Der Sport sollte nicht als eine feine Gemeinschaft angesehen werden, die Privilegien genießen kann. Unsere Sportler sind Patrioten, die den Präsidenten unterstützt haben. Der Sport ist eine Familie und alle Aufgaben, die der Staat löst, wird der Sport gemeinsam lösen. Von einer Exklusivität kann keine Rede sein. Es werden bestimmte Schutzmaßnahmen ergriffen. Vielleicht wird es eine Art Aufschub der Teilmobilmachung hier geben. Das System wird sich aber trotz dieser Situation aktiv weiterentwickeln."

Zusätzlich wird die Lage dadurch kompliziert, dass manche fälschlicherweise Vorladungen von militärischen Rekrutierungsbüros erhalten, obwohl sie die Kriterien für eine Teilmobilmachung nicht erfüllen. Sie haben entweder nicht im Militär gedient oder keine militärische Erfahrung. Die Situation wird in den meisten Fällen gelöst und die fehlerhaft übermittelten Vorladungen werden zurückgezogen. Solche Versäumnisse sorgen aber für Verwirrung und Unmut.

Dies war zum Beispiel bei Dinjar Biljaletdinow der Fall, einem ehemaligen Mittelfeldspieler der Fußballnationalmannschaft und Bronzemedaillengewinner bei der Fußball-Europameisterschaft des Jahres 2008.

Er wurde zum Melde- und Einberufungsamt vorgeladen, obwohl er über keine militärische Erfahrung verfügt. Nach einer Überprüfung seiner Unterlagen wurde der Sportler nach Hause geschickt, da er der Teilmobilmachung nicht unterliegt.

"Mir geht es gut. Ich bin zum Einberufungsbüro gegangen und habe einige Unterlagen aktualisiert. Das war eine Überprüfung der Daten. Es gab keine Fragen, sie haben mich gleich nach Hause gehen lassen", kommentierte der Sportler die Situation später in einem Gespräch mit dem Onlineportal Metaratings.

All diese Schwierigkeiten und Unklarheiten wie auch die Weigerung einiger wehrpflichtiger Sportler und Sportfunktionäre, sich an der Teilmobilmachung zu beteiligen, haben dazu geführt, dass manche Sportler das Land verlassen haben. Die Agentur Ria Nowosti berichtete zum Beispiel:

"Nikolai Koschkin, der scheidende Generaldirektor des Moskauer Eishockeyclubs Dynamo, hat Russland verlassen. Die Abreise des Funktionärs aus Russland könnte auf die Einführung der Teilmobilmachung zurückzuführen sein. Der Quelle zufolge reiste auch Walentin Krjutschkow, der Marketing- und Handelsdirektor des Moskauer Clubs, aus Russland ab."

Auf jeden Fall hat die Teilmobilmachung eine heftige Debatte darüber ausgelöst, wie Sportler in einer solchen Situation zu behandeln sind und ob Verdienste im Sport einen Anspruch auf Befreiung von der Wehrpflicht begründen. Der vierfache Olympiasieger im Turnen Alexei Nemow sprach sich in einem Interview mit RT für einen Ausschluss der Sportler der Olympiamannschaft von der Mobilmachung aus:

"Ich bin der Meinung, dass es sowohl für aktuelle als auch für ehemalige Mitglieder der Nationalmannschaft eine gewisse Befreiung von der Mobilmachung geben sollte. Nach ihrer Sportkarriere bleiben sie oft im System, trainieren die Kinder und geben ihre Erfahrungen weiter. Diese Verbindung zwischen den Generationen darf nicht unterbrochen werden."

Er betonte, dass die besten Sportler "ein Genpool sind, den es zu bewahren gilt". Der vierfache Biathlon-Olympiasieger Aleksander Tichonow hat die Frage, ob Sportler im Rahmen der Teilmobilmachung zu den Streitkräften eingezogen werden sollten, in einem Gespräch mit Sport24 so beantwortet:

"Wenn Alter und Gesundheit es zulassen, dass Sportler an die Front gehen, sind sie verpflichtet, sich der Teilmobilmachung zu unterziehen. Aber die wichtigste Frage wäre, ob sie wirklich einsetzbar sind. Wenn ich eingezogen werde, weiß ich, wie man mit einer Waffe umgeht – ich habe jedoch die vorgeschriebene Altersgrenze bereits überschritten. Was kann aber ein Fußballer, ein Hockeyspieler oder ein Schwertkämpfer tun? Wird Letzterer mit seinem Schwert zum Militär gehen?

Man sollte die Athleten nur dann einberufen, wenn sie beim Militär waren und dort entsprechend ausgebildet wurden. Ohne Ausbildung werden sie zu Kanonenfutter. Wenn man damit beginnt, Sportler wahllos zu mobilisieren, ist es dasselbe, als hätte man sie in den Tod geschickt."

Mehr zum Thema - Die russische Teilmobilmachung: Fehlschlag oder Erfolg?

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.

Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.