Nordamerika

Chinesische Spur: In Kanada brodelt ein Skandal wegen angeblicher Wahleinmischung

Kanada diskutiert über die angebliche chinesische Einmischung in die Parlamentswahlen. Beweise dafür gibt es bisher nicht. Die Opposition fordert vom Regierungschef eine Untersuchung, dieser zögert jedoch und verliert dabei seine Wähler.
Chinesische Spur: In Kanada brodelt ein Skandal wegen angeblicher Wahleinmischung© Bernd von Jutrczenka/picture alliance via Getty Images

Von Daniel Studnew, TASS

Die Theorie einer möglichen chinesischen Einmischung in die kanadischen Wahlen ist seit einem Monat das wichtigste innenpolitische Thema in Kanada. Die Behörden des Landes sagen, dass es keine direkten Beweise für derartige Handlungen Pekings gibt, bestreiten aber auch nicht, dass es regelmäßig zu Einmischungsversuchen seitens der Volksrepublik China und einer Reihe anderer Staaten komme, unter anderem durch "Öffentlichkeitsarbeit" in lokalen Gemeinden. Vor diesem Hintergrund fordert die kanadische Opposition, dass Premierminister Justin Trudeau eine offene Untersuchung durchführen lässt und beschuldigt ihn sogar, im Interesse eines anderen Staates zu arbeiten. Der Regierungschef lässt sich (noch?) nicht auf die Kritik der Opposition ein und bezeichnet diese als weiteren politischen Angriff. In der Zwischenzeit sind Trudeaus Zustimmungswerte bei den Wählern deutlich gesunken.

Wie alles begann

Global News sprach das Thema einer möglichen Einmischung Pekings in die kanadischen Parlamentswahlen erstmals im vergangenen November an. Mit Verweis auf Quellen berichtete das Netzwerk, dass es 2019 angebliche Versuche Chinas gegeben habe, sich in den Wahlprozess Kanadas einzumischen. Konkret soll China die Wahlkampagnen von mindestens elf Kandidaten finanziert haben.

Der damalige Premierminister und Vorsitzende der Liberalen Partei Kanadas, Justin Trudeau, konnte seine Mitbürger jedoch schnell beruhigen. Er räumte ein, dass ausländische Regierungen, darunter auch China, "weiterhin aggressive Spielchen mit unseren Institutionen und Demokratien treiben". Die Behörden hätten jedoch "bedeutende Schritte unternommen, um die Integrität unserer Wahlprozesse zu stärken", indem sie einen Sonderausschuss eingerichtet haben, der die Einmischung in die Wahlen 2019 und 2021 verhindern soll. Trudeau verkündete:

"Unsere Sicherheits- und Nachrichtendienste und die Polizei nehmen die Bedeutung der Bekämpfung ausländischer Einmischung – einschließlich chinesischer Einmischung – sehr ernst, aber ich kann dem Abgeordneten [dem Vorsitzenden der oppositionellen Konservativen Partei Kanadas, Pierre Poilievre, der dem Premierminister eine Frage gestellt hatte – Anm. der Red.] und allen Kanadiern versichern, dass es keine ausländische Einmischung in die Wahlen 2019 und 2021 gab, die deren Ergebnis wesentlich verändern könnte."

"Die Kanadier können volles Vertrauen in die Integrität unserer Wahlen 2019 und 2021 haben."

Damit, so schien es damals, war die Angelegenheit erledigt.

Eine neue Runde

Am 17. Februar berichtete The Globe and Mail unter Berufung auf Daten des kanadischen Geheimdienstes, dass China angeblich eine Strategie zur Einmischung in die Parlamentswahl 2021 entwickelt habe, die unter anderem die Unterstützung von Kandidaten der Liberalen Partei vorsieht, um deren Sieg zu sichern (wenn auch nur, um eine Minderheitsregierung zu bilden). Darüber hinaus soll China alles getan haben, um zu verhindern, dass unbequeme Kandidaten der oppositionellen Konservativen Partei ins Parlament einziehen.

Die Konservativen konnten natürlich nicht umhin, diese Gelegenheit zu nutzen. Parteichef Pierre Poilievre war nicht zimperlich und beschuldigte Trudeau, im Interesse Chinas und gegen die Interessen Kanadas zu handeln. Er vertrat die Ansicht, dass diese Indiskretionen an die Medien vorsätzlich seien und dass die Geheimdienste "sehr besorgt darüber sind, dass der Premierminister nicht im Interesse seines Landes und seines Volkes agiert". Der Oppositionelle warf dem Regierungschef vor, dass dieser nach dem Erhalt von Informationen über Einmischungsversuche in die kanadischen Wahlen nicht versucht habe, diese zu verhindern. Er soll sie sogar durch seine Untätigkeit "ermutigt" haben, da solche Aktionen seiner Partei zugutekämen [Trudeau wurde 2019 für eine zweite Amtszeit wiedergewählt, er ist der Vorsitzende der Liberalen Partei – Anm. der Red.].

Während einer Parlamentssitzung wurde der Premierminister gefragt, ob er persönlich oder Mitglieder seines Büros Informationen von den Nachrichtendiensten erhalten hätten, dass jemand in der Liberalen Partei Kanadas, einschließlich Mitglieder seines Kabinetts, mithilfe von "ausländischer Einmischung" gewählt worden sein könnte. Der Regierungschef vermied eine direkte Antwort auf diese Frage mit der Begründung, er könne nicht öffentlich über Verschlusssachen sprechen, versicherte aber, er habe keine Beweise dafür, dass einer der Kandidaten bei den letzten beiden Parlamentswahlen Wahlkampfgelder aus China erhalten habe. Trudeau sagte auch, es gebe keine direkten Beweise für eine Einmischung Pekings in die kanadischen Wahlen.

Dies hat die Opposition offenbar nur in ihrer Ansicht bestärkt, dass Trudeau ihr etwas verheimlicht. Die Konservativen und der Bloc Québécois, der sich ihnen angeschlossen hat, haben begonnen, von Trudeau eine öffentliche Untersuchung der möglichen chinesischen Einmischung in die kanadischen Wahlen zu fordern. Poilievre hat außerdem gefordert, dass die Stabschefin des kanadischen Premierministers, Katie Telford, und andere hochrangige Mitglieder seiner Regierung zu besonderen Anhörungen vorgeladen werden. Die Liberalen haben dieser Forderung bisher nicht zugestimmt.

Reaktion der Behörden und Angriffe auf die Opposition

In einem Versuch, den Skandal einzudämmen, kündigte Trudeau an, einen unabhängigen Sonderbeauftragten zu ernennen, der die Behörden bei der Bekämpfung potenzieller ausländischer Einmischungen in Staatsangelegenheiten, auch aus China, beraten sollte. Am 17. März 2023 ernannte er den ehemaligen Generalgouverneur von Kanada David Johnston (2010 bis 2017) zu diesem Beauftragten, was der Opposition missfiel. Diese meinte, der Premierminister habe "seinen Mann" eingesetzt, um die Wahrheit vor ihr zu verbergen.

So erklärte der Vorsitzende der Konservativen, Poilievre, dass "Trudeau einen Familienfreund, einen alten Nachbarn und ein Mitglied der von Peking finanzierten Trudeau-Stiftung (es wurde zuvor berichtet, dass die Stiftung 200.000 Dollar, die sie von chinesischen Unternehmen erhalten hat, zurückgeben wird – Anm. der Red.) zum unabhängigen Sonderbeauftragten über Pekings Einmischung ernannt hat". Er forderte den Premierminister außerdem auf, eine öffentliche Untersuchung über die mögliche Einmischung Chinas in die kanadischen Wahlen durchzuführen. Yves-François Blanchet, Vorsitzender der oppositionellen Bloc Québécois, behauptete seinerseits, Trudeau "hätte jemanden für den Posten auswählen sollen, der offen gesagt und zugegebenermaßen kein Freund [seiner] Familie ist", und forderte ebenfalls eine offene, unabhängige Untersuchung.

Als Reaktion auf diese Anschuldigungen unterstützte Trudeau die Wahl Johnstons und beschuldigte die Opposition "schrecklicher parteiischer Angriffe auf einen Mann von außergewöhnlicher Integrität". Er betonte:

"Die Konservative Partei Kanadas hat einfach kein Interesse daran, Antworten zu bekommen und den Glauben der Kanadier in ihre Demokratie zu wahren sowie von Experten die Wahrheit darüber zu erfahren, was wirklich vor sich geht [in Bezug auf die ausländische Einmischung]."

Außerdem warf der Premierminister seinen Gegnern vor, politische Spielchen zu treiben. Dabei hob er hervor:

"Es gibt Politiker, die denken, dass der beste Weg zur Lösung dieses sehr ernsten Problems darin besteht, politische Angriffe zu verstärken."

Während einer Parlamentssitzung dann – anstatt Fragen zu beantworten – beschuldigte der Regierungschef die Konservative Partei, Verbindungen zur extremen Rechten zu pflegen.

Meinung der Wähler

Das Angus Reid Institute Canadian Opinion Research veröffentlichte letzte Woche Daten aus einer Umfrage mit rund 5.000 Personen über die Unterstützung für politische Parteien inmitten des Skandals um ausländische Einmischung. 35 Prozent der Befragten gaben an, dass sie bei der nächsten Wahl die Konservative Partei unterstützen würden, während 29 Prozent der Befragten für die Liberale Partei von Justin Trudeau stimmen würden. Vor einem Jahr, im Falle einer Wahl, hätten beide Parteien jeweils 35 Prozent erhalten, so die damalige Umfrage. Die Experten stellten auch fest, dass die persönlichen Werte des Premierministers um sechs Prozentpunkte gesunken sind, von 43 Prozent im September 2022 auf 37 Prozent im März dieses Jahres.

Daniel Studnew ist Leiter des Kanada-Büros der Nachrichtenagentur TASS.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 21.03.2023 auf tass.ru erschienen.

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