Meinung

"Thank you, USA" – Polens neuer Außenminister passt Baerbock gut ins Konzept

Radosław Sikorski, der schon früher polnischer Außenminister war, rief sich in der Zwischenzeit vor allem mit seinem Tweet zur Sprengung von Nord Stream in Erinnerung: "Danke, USA!" Jetzt hat ihn die "Welt" interviewt, und es geschafft, alle wirklichen Fragen zu umgehen.
"Thank you, USA" – Polens neuer Außenminister passt Baerbock gut ins KonzeptQuelle: www.globallookpress.com © Florian Gaertner

Von Dagmar Henn

Sicher, man muss auch mit Feinden reden, gerade als Journalist. Und in der Welt als Teil des Springer-Konzerns gibt es die verpflichtende Vorgabe, treu transatlantisch zu sein. Aber dennoch, in einem Interview mit dem jetzt erneut zum polnischen Außenminister aufgestiegenen Radosław Sikorski gibt es eigentlich nur eine wirklich interessante Frage: wie stehen Sie heute zu Ihrem Tweet vom 26. September 2022, in dem Sie sich bei den USA für die Sprengung von Nord Stream bedankten?

Diese Frage wurde allerdings nicht gestellt; vielmehr wird getan, als wäre ein Amtsantritt von Sikorski ein gewaltiger Fortschritt gegenüber seinem Vorgänger. Das illustrierende Foto, das Bundesaußenministerin Annalena Baerbock mit Sikorski zeigt, frisch, von dieser Woche, beide grinsend, ist ein Beleg dafür, dass sich die EU-Elite freut, aber es besagt rein gar nichts darüber, ob Sikorski in irgendeiner Weise für eine Deutschland gewogenere Position steht. Was, nüchtern betrachtet, nach diesem Tweet damals auch etwas schwierig wäre, denn die Feindseligkeit, die sich darin ausdrückte, überstieg das, was aus der PiS-Regierung kam, noch einmal deutlich.

Baerbock hat Sikorski sicher ausgesprochen freundlich empfangen; schließlich entsprach jener Akt, den Sikorski so sehr begrüßte, den Vorstellungen ihrer Partei, und die wirtschaftlichen Schäden, die dadurch ausgelöst wurden, dürften ihr in etwa so wichtig sein wie das, was ihre Wähler denken. Und Sikorski ist, durch seine Ehe mit der US-Autorin Anne Applebaum, ganz nah am Zentrum der Truppe von Neocons, die die US-Außenpolitik lenkt und der sich Baerbock verpflichtet fühlt, weshalb er bei dieser Begegnung auch nie und nimmer befürchten musste, auf seine damalige Aussage angesprochen zu werden; außer vielleicht mit einem "Radosław, du Schelm du".

Nach den Reparationsforderungen, die die vergangene polnische Regierung gestellt hatte, fragt die Welt allerdings. Als wäre es überraschend, dass der folgsame EU-Lakai Sikorski dennoch an dieser Position festhält, auch wenn die Verpackung etwas freundlicher ist:

"Aber natürlich war, was Deutschland im Zweiten Weltkrieg Polen antat, furchtbar und grausam. Ich habe Ministerin Baerbock gesagt, dass es hilfreich wäre, wenn man eine kreative Möglichkeit findet, das Bedauern für dieses Leid zum Ausdruck zu bringen und den Menschen, die diese Zeit überlebt haben, etwas Gutes zu tun. Diese ethische Reflexion sollte sich dann auch in finanzieller Entschädigung äußern."

Und dann fügt er hinzu, in der Ampel-Koalition werde diskutiert, "dass man sichtbare Zeichen des Bedauerns sendet". Auch hier setzt die Welt nicht nach. Das allerdings wäre ihr früher, bei aller transatlantischen Treue, nicht passiert.

Denn die ganze Reparations-Geschichte ist ausgesprochen heikel; die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze war nämlich historisch damit verknüpft, dass es keine weiteren Forderungen gibt. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass Polen mit Reparationsforderungen, gleich, ob offen oder samtpfötig wie bei Sikorski, ebendiese Frage wieder öffnet. Es ist schließlich nicht so, dass Polen mit Schlesien keinen Schnitt machte. Im Gegenteil, selbst wenn auch in die östliche Richtung ständig der Vorwurf ergeht, man hätte gerne die ganzen Gebiete zurück, die Polen im russischen Bürgerkrieg annektieren konnte, Schlesien mit seiner Industrie im Westen war weitaus wertvoller als das, was Polen im Osten wieder abgeben musste.

Nun, man kann entspannt darauf wetten, dass Annalena Baerbock auf Sikorskis Forderungen freundlich genickt hat, statt ihm zu erklären, er könne gerne Reparationen erhalten, wenn er Schlesien und Danzig zurückgäbe und man nach Berechnung der volkswirtschaftlichen Erträge aus diesen Gebieten zu dem Schluss käme, dass da noch irgendetwas zu fordern sei. Nein, Baerbock wird, das legt schon das Foto nahe, eher bewundernd zu ihm aufgeblickt haben, weil er in der Rangfolge amerikanischer Schoßtiere klar über ihr steht.

Wie eng Sikorski in diese Neocon-Kamarilla eingebunden ist, kann man schon daran ersehen, wie buchstabengetreu er die aktuellen propagandistischen Vorgaben wiedergibt:

"Die Ukraine hat bis jetzt schon 50 Prozent des von den Russen anfangs besetzten Territoriums zurückerobert. Jetzt wird wieder Getreide exportiert. Ohne eigene Marine hat die Ukraine die russische Flotte besiegt, und der westliche Teil des Schwarzen Meeres ist jetzt für die Schifffahrt offen. Die Ukrainer kämpfen wie die Löwen und wir müssen ihnen einfach nur die Mittel in die Hand geben, das noch besser machen zu können. Denn die Kosten, Putin abzuschrecken, wenn er die Ukraine wirklich erobern würde, wären viel höher als die Kosten, die wir jetzt haben, um der Ukraine zu helfen."

Das ist exakt derselbe Text, wie ihn Jens Stoltenberg vorträgt, was ihn nicht wahrhaftiger macht. Irgendwie muss ein ukrainischer Sieg konstruiert und das katastrophale Scheitern der Sommeroffensive aus der Erinnerung gelöscht werden. Es ist allerdings, wenn man die einzelnen Bestandteile kennt, doch etwas irritierend, sie derart dicht und komplett wiedergegeben zu finden; aber wer weiß, vielleicht ist es ja Anne Applebaum, die dafür zuständig ist, die jeweils aktuelle NATO-Version der Welt zu erfinden, und Sikorski wurde damit schon am Frühstückstisch beglückt?

Auch hier wäre natürlich ein Punkt, an dem man hätte einhaken können, bei den Kosten. Es wäre interessant gewesen, zu wissen, wie er auf die Frage geantwortet hätte, dass ebendiese Kosten für Deutschland doch bedeutend höher seien als für Polen, zumindest wirtschaftlich. Ach, es gäbe so viele hübsche Fragen. Nach polnischen Söldnern in der Ukraine beispielsweise. Ob das ein Preis wäre, den Polen gern bezahlt.

Nein, die Welt nutzt Sikorski, um noch mehr Rüstung, noch mehr Konfrontation einzufordern. Ob denn die "Dynamik, ausgelöst vom Schock des Ukraine-Überfalls", die zu Scholz' "Zeitenwende" geführt habe, vorbei sei. Woraufhin Sikorski logischerweise weitere Aufrüstung fordert:

"Europa hat sich bei der Rüstung deindustrialisiert. Das müssen wir ändern und unsere Produktionskapazitäten schnell ausbauen. Wir sind nicht stark genug und Russland ist bei der Munitionsherstellung weit voraus. Wir müssen der Ukraine jetzt helfen."

Auch das im Grunde eine Forderung in Richtung Deutschland. Man hätte jetzt fragen können, wo in Polen die industriellen Kapazitäten wären, die ausgebaut werden könnten. Das Land, das nach dem Ende des Warschauer Vertrages eine nennenswerte Produktionskapazität behielt, heißt Tschechien, nicht Polen.

Ganz, ganz verborgen findet sich in Sikorskis Aussagen sogar eine Andeutung von Wissen, dass die ganze Stärke, die er simuliert, auch wenn er etwa eine Aufhebung der Einstimmigkeit in der EU fordert, damit Ungarn das Geld für die Ukraine nicht blockieren kann (das selbstverständlich nicht von Polen kommt, weil Polen mehr Geld von der EU erhält, als es einzahlt), nur geliehen ist:

"Polen möchte natürlich gute Beziehungen mit den USA aufrechterhalten, wer auch immer dort Präsident ist. Aber Donald Trump sagt jetzt schon den republikanischen Politikern, dass man der Ukraine kein Geld geben soll, wenn es kein Geld für den Schutz der Südgrenze der USA gibt."

Was unvermeidlich bedeuten würde, dass auch Polen weit weniger Aufmerksamkeit aus den USA erhielte, und die ganze vermeintliche Größe sich verwandelte wie Cinderellas goldene Kutsche in Disneys Klassiker, von der nach Mitternacht nur ein Kürbis und vorgespannte Mäuse blieben. Doch Sikorski gibt sich zuversichtlich, das über eine weitere Verstärkung des europäischen Korsetts lösen zu können, und die Welt fragt, wie wir bereits wissen, nie nach, wenn es spannend wäre:

"Und langfristig brauchen wir eine europäische Verteidigungspolitik, nicht nur wegen Trump. Wenn die Dinge schieflaufen im Fernen Osten schieflaufen, wird jeder US-Präsident die amerikanischen Ressourcen dort einsetzen. Die USA haben nicht die Kapazitäten, zwei Kriege gleichzeitig zu führen."

Eine interessante Aussage von Sikorski, weil US-Präsident Joe Biden jüngst, genau nach diesen Kapazitäten gefragt, erklärte, "wir sind die Vereinigten Staaten von Amerika!" In deutschem Interesse liegt es jedenfalls nicht, diese Konfrontation nicht nur fortzuführen, sondern auch noch massiver zu finanzieren, wenn die USA meinen, sich auch noch mit China anlegen zu müssen. Allerdings ist das ganze Feld der möglichen Entwicklungen kein Teil der Welt-Sicht. Weshalb die ebenfalls nicht ganz uninteressante Frage, wie denn diese polnische Regierung mit einer deutschen umgehen würde, die tatsächlich die deutschen Interessen verfolgt, ebenfalls ungefragt bleibt.

Womit dieses Interview allerdings genau den Zustand wiedergibt, der die EU, aber auch die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen derzeit prägt – über die wichtigen Fragen darf nicht gesprochen werden, keiner hat einen wirklichen Plan für den sich abzeichnenden Moment des amerikanischen Rückzugs (der selbst dann erfolgen würde, wenn die Biden-Regierung im Amt bliebe, nur erst zu dem Zeitpunkt, wenn in Europa nichts mehr zu holen ist), alle wissen, dass letztlich alle Kernländer der EU politisch nicht mehr stabil sind und die ganze Konstruktion zerfällt, sobald auch nur ein Land wirklich kippt, aber alle tun so, als zögen sie von Erfolg zu Erfolg. "Die Ukraine hat 50 Prozent des von den Russen anfangs besetzten Territoriums zurückerobert."

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