Meinung

Deutscher Wirtschaftsprofessor: Nicht 50, nein, 150 Milliarden für die Ukraine

Irre, dass die Bundesregierung ihre "Hilfe" für die Ukraine auf acht Milliarden verdoppelt hat, während sonst massiv gekürzt wird? Es geht noch schlimmer. Der Wirtschaftsprofessor Thomas Apolte fantasiert gleich von 150 Milliarden.
Deutscher Wirtschaftsprofessor: Nicht 50, nein, 150 Milliarden für die UkraineQuelle: www.globallookpress.com © Elmar Gubisch via www.imago-imag

Von Dagmar Henn

Tatsächlich kann man sofort skeptisch werden, wenn in der Überschrift zu einem Interview von "Osteuropa-Experte" die Rede ist. Denn alle, die einmal derart bezeichnet wurden und nicht die NATO-Erzählung zu ihrem Glaubensbekenntnis gemacht haben, werden längst nicht mehr interviewt. Und diese Erwartung täuscht auch nicht bei Thomas Apolte.

Der Münsteraner Professor, Volkswirtschaftler und Lehrstuhlinhaber für "Ökonomische Politikanalyse" klingt tatsächlich so, als würde er täglich im Dom von Münster um Erlösung vom teuflischen Putin beten. Nicht, dass ein Mangel an Vernunft bei der Sicht auf Russland noch sonderlich auffiele, aber Apolte liefert schon die etwas sattere Variante:

"Kremlchef Wladimir Putin vergleicht sich mit Peter dem Großen, und für diesen Größenwahn riskiert er fast alles. Sein Appetit wird nicht mit der Eroberung der Ukraine enden. Besonders gefährdet sind Moldawien und Georgien. Und wenn wir dann mit unseren Bündnisverpflichtungen zögern, auch die baltischen Staaten."

Natürlich bringt er dafür keine Belege. Als könnte man nicht auf der Seite Kremlin.ru unzählige Reden des russischen Präsidenten lesen, und müsste demzufolge ganz leicht ein Zitat finden können, das diese Behauptungen belegt. So sie denn eine Verbindung zur Wirklichkeit hätten.

Übrigens galt Peter der Große in der europäischen Sicht immer als Lichtgestalt, man denke nur an die Operette "Zar und Zimmermann". Sollte es allerdings eine derartige Identifikation Putins je gegeben haben, ist sie mittlerweile längst zu den Akten gelegt, denn Peter versuchte, Russland zum Westen hin zu orientieren. Wer tatsächlich russische Politik beobachtet, weiß, dass der Westen im Verlauf der vergangenen Jahre seine Anziehungskraft auf Russland völlig verloren hat.

Wer sich noch an 2008 erinnert, diesen von einem gewissen Herrn Saakaschwili ausgelösten georgischen Krieg, der weiß auch, dass damals die russische Armee bis Tiflis hätte marschieren können. Es aber nicht getan hat. Eigenartig, wenn Georgien auf der Speisekarte stehen soll, oder? Nun, das Gedächtnis der Leser ist kurz. Das glauben zumindest Apolte und der Rheinische Merkur. Über die EU-Mikrodiktatorin Maia Sandu in Moldawien braucht man wirklich nicht zu reden. Und nicht einmal dieser Kunstgriff der vermeintlichen Erweiterung ist neu. Früher, zu Zeiten des Vietnamkriegs, kannte man das unter dem Titel "Dominotheorie".

Damit ist der Ton schon einmal gesetzt. Apolte hat übrigens im Frühjahr dieses Jahres einen langen Artikel geschrieben, in dem er über Sahra Wagenknecht und überhaupt alle Linken herfiel, die nicht bedingungslos das Lied von der russischen Gefahr singen; in dem er unter anderem behauptet, dass Putin "nicht nur rechtsradikal denkt und im Grunde immer so dachte, sondern auch immer schon so handelte", oder dass er "lange vor dem 24. Februar 2022 kaltlächelnd ganze Städte in Schutt und Asche versinken ließ". Wäre interessant zu wissen, was Apolte jetzt dazu sagt, wo der westliche Demokrat Netanjahu die ganze Welt zusehen lässt, wenn eine Stadt tatsächlich in Schutt und Asche gelegt wird, samt ihrer Bewohner. Jedenfalls, der erbitterte Anhänger des westlichen Liberalismus Apolte wirft allen, die sich seiner Feindschaft zu Putin nicht anschließen, "Kollektivismus" vor. Ein Wiedergänger der westdeutschen 1950er, in jeder Hinsicht.

Jedenfalls, dass "die Ukraine in die Defensive geraten" ist, wie der Interviewer anmerkt, beunruhigt ihn, und er setzt klar darauf, noch mehr Geld und Waffen nach Kiew zu schicken. "Je mehr wir zögern, desto länger dauert der Krieg, desto mehr Soldaten werden sterben und desto eher gewinnt am Ende Putin."

Was natürlich undenkbar ist, denn der ist schließlich der Gottseibeiuns. Apolte vergisst keine der erforderlichen Zutaten – Peter der Große will die Sowjetunion zurück (ein klitzekleiner Widerspruch, aber wer merkt das schon), droht mit Atomwaffen und ist überhaupt schlimmer als Stalin. Wer auch nur an Diplomatie denkt, wird von Apolte mit Chamberlain verglichen (noch so ein Bruch – Chamberlain wollte die Nazis gegen die Sowjetunion einsetzen und fütterte Hitler deshalb mit der Tschechoslowakei, weshalb man sich hier fragt, wer denn dann die Sowjetunion in Apoltes Variante ist).

"Deshalb haben wir keine andere Wahl, als Putin jetzt in seine Schranken zu weisen, in dem wir die Ukraine unterstützen. […] Im Gegensatz zu England muss Westeuropa dazu heute nur ein – vergleichsweise kleines – finanzielles Opfer bringen."

Was sich seiner Meinung nach lohnt, denn "wirtschaftlich ist die EU um ein Vielfaches stärker als Russland. Ein Wettrüsten würde den Kreml wirtschaftlich ruinieren". Das kommt davon, wenn man die falschen Nachrichten liest; ein kleiner Blick auf die Entwicklung der russischen Rüstungsindustrie wäre hilfreich, dann wüsste der Herr Wirtschaftsprofessor, dass die Lage ganz anders aussieht, das Wettrüsten eigentlich schon vorbei ist, und nicht der Westen gewonnen hat.

Nein, er schlägt ein "kleines finanzielles Opfer" vor, und nennt sogar eine Hausnummer:

"Das Unterstützungspaket von 50 Milliarden Euro der EU wird von Ungarn blockiert. Eine ähnliche Summe in den USA passiert nicht den Kongress, weil die Republikaner dagegen sind. Eine Verdreifachung der EU-Mittel wäre ein überall verstandenes Zeichen. Der deutsche Beitrag hierzu entspräche gerade einem Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts."

Das ist die gleiche Schummelei, die wir seit Jahren mit diesen "zwei Prozent" Rüstungshaushalt erleben. Um die Proportionen etwas geradezurücken – der Bundeshaushalt entspricht, langfristig grob geschätzt, ungefähr zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Weshalb ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts zehn Prozent des Bundeshaushalts sind. Die seiner Meinung nach mal eben zusätzlich in die Ukraine fließen sollen, wobei das bei ihm bestimmt nicht von den zwanzig Prozent des Bundeshaushalts abgezogen werden soll, die für Rüstung ausgegeben werden sollen, sondern obendrauf gepackt wird. Womit wir bei 30 Prozent der gesamten Steuereinnahmen des Bundes für Krieg und Kriegsmaterial wären, beinahe einem Drittel.

Wie jeder brave NATO-Fan fürchtet Apolte eine Wahl von Trump, und sieht seine 150 Milliarden auch als Absicherung, sollten sich die USA zurückziehen wollen.

"Trump argumentiert leider nicht ganz zu Unrecht, wir leisteten zu wenig für die europäische Sicherheit. Schon deshalb könnten wir mit 150 Milliarden ein eindrucksvolles Signal in alle Richtungen senden. Wir werden von einem Teil des Geldes auch Waffen in den USA kaufen müssen."

Die interessante Frage hier lautet: Welche Waffen? Wenn man die Biografie von Apolte betrachtet, sieht man, er hat in Duisburg studiert und auch lange in Duisburg gelehrt. Wenn es eine Stadt gibt, in der die Bedeutung der Schwerindustrie in jede Straße eingeschrieben ist, dann ist das Duisburg. Eine Stadt, die in manchen Teilen so wirkt, als wäre sie eine einzige Fabrik mit zufällig dazwischen gebauten Häusern. Sicher, es ist inzwischen lange her, dass dort das Herz der Stahlindustrie schlug, aber diese Geschichte nicht wahrzunehmen, ist in Duisburg völlig unmöglich.

Aber tatsächlich, ein Professor für "Ökonomische Politikanalyse" hat nicht einmal mitbekommen, dass es in der gesamten NATO ein Problem mit Granaten gibt. Für dessen Lösung es völlig gleichgültig ist, ob man fünfzig, hundertfünfzig oder fünfhundert Milliarden auf den Tisch legt; die einzige dokumentierte Wirkung ist bisher, dass der Preis der Granaten um 80 Prozent gestiegen ist, auf 3.600 Euro das Stück. Granaten lassen sich nicht mit Geld heraufbeschwören, sie müssen hergestellt werden. Dafür braucht es Rohstoffe, Maschinen und kundiges Personal, und an allen drei Punkten wird es schwierig. Nicht zuletzt, weil Stahl viel Energie braucht, und seine Verarbeitung auch. Da war doch was mit Sanktionen...

"Wie ist das angesichts der gegenwärtigen Haushaltskrise zu stemmen?", fragt der Interviewer, aber Apolte sieht das ganz locker.

"Ökonomisch und rechtlich geht das problemlos, wenn wir es wollen und es richtig machen. In Deutschland sowieso, und in Europa müssen es eben die mitmachen, die ebenfalls wollen."

Sagt der Wirtschaftsprofessor. Nachdem die Bundesregierung mit ihrer Politik nicht nur eine Rezession ausgelöst und gleich auf mehreren Feldern (siehe Immobilien) totales Chaos angerichtet hat, und nach wie vor nicht wirklich weiß, wie sie einen Haushalt hinbekommt, und ansonsten damit beschäftigt ist, herauszufinden, wie man der Bevölkerung möglichst unauffällig das Geld aus der Tasche zieht. Kein Ding, meint Apolte, nochmal so dreißig, vierzig Milliarden mehr fallen da nicht auf.

Wobei man nicht mehr weiß: Soll man darauf hoffen, dass ihm und seinem wahnwitzigen Plan keiner zuhört, oder soll man darauf setzen, dass er aufgegriffen wird, weil ein Ende mit Schrecken besser sei als ein Schrecken ohne Ende? Gäbe es diese krude Mischung aus Peter dem Großen, Stalin und dem Gottseibeiuns wirklich, die Apolte zusammenfantasiert, könnte der sich jedenfalls entspannt zurücklehnen und zuschauen, wie diese 150 Milliarden, die in das bodenlose Fass Ukraine gegossen werden sollen, Deutschland endgültig ruinieren.

Wie alle in Deutschland derzeit gebräuchlichen Wahnvorstellungen hat aber auch die des Herrn Apolte einen entscheidenden Nachteil, der diese Entspannung ruiniert. Was mit diesem Geld weiter in dem Krieg für die westliche Glorie verheizt werden soll, sind echte, lebende Menschen, aus Fleisch und Blut, noch atmende, denkende Artgenossen, die ukrainischen Soldaten, mit denen auch Apolte kein Erbarmen kennt.

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