Meinung

Mit Lügen gegen Russland – Die Minsker Abkommen und die Doppelmoral des Westens

Wie der ehemalige ukrainische Präsident Poroschenko unlängst offen eingestanden hat, diente das zweite Abkommen von Minsk dem Ziel, der Ukraine im Donbass-Konflikt Zeit zu verschaffen. Die Lage in der Ukraine entblößt das bekannte westliche Muster aus Lügen, gebrochenen Verträgen und Doppelmoral.
Mit Lügen gegen Russland – Die Minsker Abkommen und die Doppelmoral des Westens© Michael Kappeler/picture alliance via Getty Images

von Michael Pflugfelder

Westliche Garantien und die Lüge von Minsk II

Vergangene Woche hat die EU der Ukraine und Moldawien den Status von EU-Beitrittskandidaten gewährt. Die meisten westlichen Staats- und Regierungschefs feierten dies als eine Art große Errungenschaft. Der französische Präsident Emmanuel Macron sprach von einer "politischen Geste", die ein "starkes Signal" an Russland sende.

Was für ein Signal soll das sein? Dass der Westen Kiew weiterhin gegen Moskau den Rücken stärken wird? Wie er es auch bei Minsk II. tat, als Paris und Berlin Garantieversprechen unterzeichneten, die sie anscheinend nie zu erfüllen gewillt waren?

Seit einigen Wochen ist es kein Geheimnis mehr, warum Kiew nie die in Minsk II. vorgeschriebenen Punkte zur Lösung des Konfliktes im Donbass erfüllt hatte. Das Abkommen sollte der Ukraine, deren Armee im Osten am Verlieren war, bloß Zeit verschaffen. Dies gab der ehemalige ukrainische Präsident Petro Poroschenko jüngst gegenüber mehreren westlichen Medien offen zu. Es sei ein Ablenkungsmanöver gewesen, um Kiew Zeit für den Wiederaufbau seines Militärs zu geben.

Die Garantien Deutschlands und Frankreichs darüber, dass sie die Ukraine zur Umsetzung der im Abkommen vorgesehenen 13 Punkte der Deeskalation bewegen würden, waren keinen Pfennig wert, denn nichts dergleichen geschah. Im Laufe von sieben Jahren beschoss Kiew Wohngebiete im Donbass mit Artillerie, viele unschuldige Zivilisten, darunter auch Kinder, wurden getötet.

Mehr noch: Washington, das kein Unterzeichnerstaat des Abkommens ist, behielt es sich noch unter dem Friedensnobelpreisträger Barack Obama vor, das ukrainische Militär aufzurüsten. Die USA lieferten schwere Waffen und bildeten laut dem Ex-Inspektor der UNO und US-Offizier Scott Ritter ukrainische Soldaten einschließlich Neonazi-Gruppen aus. Wozu das alles? Hätte Kiew das Abkommen erfüllt, wäre eine friedliche Reintegration der damals von niemandem anerkannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk in die Ukraine geschehen und der Bürgerkrieg wäre vorbei gewesen.

Doch die Aufrüstung der ukrainischen Armee diente anscheinend einem höheren Ziel, denn der auf dem Maidan vom Westen in die Wege geleitete Umsturz in Kiew sollte das Land zunehmend an die NATO binden. Nachdem die NATO trotz der einst gemachten Versprechen an Moskau, nicht weiter vorzurücken, osteuropäische Staaten unter ihre Fittiche nahm und an die russischen Grenzen vorstieß, begann man von einer Mitgliedschaft der Ukraine zu sprechen. Poroschenko verankerte das Beitrittsziel sogar in der ukrainischen Verfassung.

Signale und Sanktionen

Jahrelang hörte man aus Washington, Brüssel und weiteren westlichen Hauptstädten, dass der eine oder andere Schritt des Westens, so zum Beispiel Sanktionen, Signale an Russland seien. Doch was sollten diese Signale wirklich bedeuten? Dass man sich den Positionen des Westens zu fügen habe, sonst ... Sonst was? Weitere Sanktionen? Oder will der Westen nun mit einem Atomkrieg Moskau seinen Willen aufzwingen?

Der Größenwahn Europas und später auch der USA, immer "Recht zu behalten" und die "einzige tatsächliche Wahrheit auf der Welt" zu vertreten, hat bereits zig Millionen Menschenleben gekostet. Angefangen bei den Kreuzzügen über die Kolonialisierung und Versklavung ganzer Völker, denen man angeblich "die Zivilisation" brachte, bis hin zur "Demokratisierung" der Welt in Ländern wie Afghanistan, Libyen und Syrien. Der Westen sieht sich stets im Recht, seine Interessen mit Gewalt durchzusetzen.

Doch zurück zu den "Signalen". Welches Signal sendet ein derartiges Vorgehen des Westens in Bezug auf die Ukraine tatsächlich an den Rest der Welt? Trotz der dominanten Positionen der USA und ihrer Verbündeten in den wichtigsten internationalen Organisationen wie der UNO und den globalen Medien ist es dem Westen nicht gelungen, den Rest der Welt gegen Russland aufzubringen.

Nur wenige Staaten weltweit unterstützen die Sanktionen gegen Moskau. Daher versucht vor allem die Weltpolizei USA, andere mit Druck dazu zu bewegen, die Beschränkungen umzusetzen. Dabei verbreiten sogenannte Sekundärsanktionen weltweit zusätzlich Schrecken. Angesichts dieser Sanktionen tun wirtschaftsschwache Staaten wie zum Beispiel Sri Lanka, das vor kurzem ein russisches Flugzeug beschlagnahmte, das Nötigste, um vom westlichen Groll verschont zu bleiben.

Wieder einmal sehen wir, wie der "zivilisierte" Westen seine Position anderen Ländern weltweit aufzuzwingen versucht, denn nur er weiß, was "richtig" ist. Wie damals, als er Jugoslawien zerbombte. Hat damals jemand Sanktionen gegen NATO-Staaten verhängt, nachdem das Militärbündnis Belgrad bombardiert hatte? Natürlich nicht, denn der Westen hat scheinbar ein inoffizielles Tötungsmandat.

Westliche Werte                                   

Zurück zu Macron. Dieser bezeichnete die Verleihung des EU-Kandidatenstatus an die Ukraine nicht nur als "eine sehr starke Botschaft", sondern rechtfertigte sie auch noch wie folgt:

"Wir sind dies dem ukrainischen Volk schuldig. Es kämpft für unsere Werte."

Da fragt man sich, welche Werte er meint. Etwa die des eben erwähnten Tötungsmandats? Das könnte passen, denn Kiew hat mit seiner sogenannten "militärischen Anti-Terror-Operation (ATO)" gegen die Separatisten in der Ostukraine, die den illegalen Putsch in der Hauptstadt nicht anerkannten, Tausende von Menschenleben zerstört.

Auch zeigen Dokumente der ukrainischen Armee, die russischen Soldaten in den ersten Monaten der Sonderoperation Moskaus in der Ukraine in die Hände fielen, dass Kiew eine große Offensive im Donbass und auf der Krim plante. Diese sollte laut dem russischen Verteidigungsministerium im März starten. Moskau ist dem also zuvorgekommen und hat große Verluste unter der Zivilbevölkerung dieser Gebiete verhindert.

Welche Werte kann der französische Präsident außerdem gemeint haben? Vielleicht die Pressefreiheit? Jene Pressefreiheit, die im Westen neuerdings ganz offen mit Füßen getreten wird, wenn man sich vor Augen führt, wie schnell Medien von heute auf morgen in der EU gesperrt und verboten werden können, siehe RT? Oder wie man Whistleblower, die ungeheure Verbrechen des US-Militärs aufdecken, zu langen Haftstrafen oder möglicherweise zum Tode verurteilt? Was Julian Assange nach einer Auslieferung an Washington droht, wissen wir zwar noch nicht, doch gibt es die berechtigte Annahme, dass ihm die Todesstrafe droht.

Auch der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij ist in Fragen der Pressefreiheit und der Freiheit im Allgemeinen von der westlichen Partie, denn er hat in seinem Land alle oppositionellen Parteien verboten und alle Medien gleichgeschaltet. Alle Medien des Landes sind heute staatlich verpflichtet, das einzige "richtige" vom ukrainischen Staat diktierte Bild zu präsentieren.

Berichten zufolge werden in der Ukraine Menschen, die zum Beispiel Kritik an der ukrainischen Führung in den sozialen Medien äußern, vom ukrainischen Geheimdienst SBU verhaftet. Laut dem ukrainischen Blogger Anatoli Scharij, der seit Jahren im Exil in der EU lebt, seien die SBU-Gefängnisse überfüllt mit Menschen, wobei nicht zu erwarten sei, dass sie überhaupt einen gerichtlichen Prozess bekommen werden.

Ein interessantes Beispiel diesbezüglich ist ein Vorfall mit dem US-Blogger Gonzalo Lira, der in Charkow lebt. Er wurde laut eigenen Angaben für seine Kritik vom SBU entführt. Später ließ man ihn wieder frei. Wahrscheinlich, weil er US-Bürger ist.

Doppelmoral als Leitmotiv der westlichen Außenpolitik

Natürlich könnte man noch weitere gemeinsame "Werte" des Westens und der Ukraine aufzählen. Darum geht es mir in diesem Artikel jedoch nicht. Es geht um die Doppelmoral des Westens, die auch im Falle der Ukraine deutlich zu erkennen ist. Und um die Frage, welche Schlüsse andere Staaten aus der ganzen Angelegenheit ziehen könnten und sollten.

Der Westen fordert von der Weltgemeinschaft die Einhaltung gewisser internationaler Regeln, die er jedoch selbst fortwährend mit Füßen tritt. Auch die EU und ihre Integration scheint dabei keine Ausnahme zu sein. Denn europäische Staaten wie Albanien und Nordmazedonien hatten deutliche Reformen und Umstellungen in Kauf nehmen müssen, um einen Kandidatenstatus zu erhalten.

Der Ukraine wurde dieser Status jedoch einfach geschenkt, was Macron mit der oben zitierten Aussage auch indirekt einräumte. Vor dem Beginn der russischen Sonderoperation in der Ukraine war das Land "korrupt wie eh und je", wie es die Süddeutsche Zeitung im Februar 2021 formulierte. Die Justiz des Landes sei gegen die Macht der Oligarchen machtlos, so das Blatt in einem weiteren Artikel.

Der serbische Innenminister Aleksandar Vulin fasste die Angelegenheit ganz passend zusammen. Er erklärte, dass die Verleihung des EU-Kandidatenstatus an die Ukraine bedeute, dass das Hauptkriterium für die EU-Integration der Konflikt mit Russland sei und nicht die Reformen und zahlreichen Bedingungen, die zum Beispiel für die westlichen Balkanländer festgelegt wurden. Der albanische Regierungschef Edi Rama kritisierte Brüssel dafür, dass sein Land trotz durchgeführter Reformen "weiterhin im Warteraum gehalten" werde. Wird die Integration also nur da wahrgenommen, wo es der EU gerade recht ist?

Die Doppelmoral des Westens bestimmt bis heute das Leitmotiv seiner Außenpolitik. Wie die Geschichte zeigt, wird sich daran nichts ändern – es sei denn, andere bieten ihm die Stirn.

Ende der unipolaren Welt

Während einer Rede auf dem Sankt Petersburger Internationalen Wirtschaftsforum prognostizierte der russische Präsident Wladimir Putin das Ende der unipolaren Welt. Politologen und Analytiker sagen dies zwar seit Jahren voraus, doch bleibt klar zu erkennen, dass das Ende nicht endgültig eingeläutet werden kann, solange es keine bedeutenden Alternativen in solchen Bereichen wie dem Zahlungsverkehr und der Koordinierung rechtlicher Fragen gibt.

Solange zum Beispiel SWIFT und die WTO im globalen Handel dominieren, wird der Westen über Werkzeuge verfügen, mit denen er seine Regeln diktiert. Eine Weiterentwicklung solcher Organisationen wie die BRICS, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit und die Afrikanische Union, wäre eine Möglichkeit, die Welt tatsächlich multipolarer zu gestalten und somit Staaten von der Dominanz des Westens zu befreien.

Denn eines hat die Situation um die Ukraine deutlich gemacht: Die meisten Länder dieser Welt sind es leid, dem westlichen Diktat von Zuckerbrot und Peitsche Folge zu leisten. Besonders dann, wenn der Westen sogar bereit ist, aufgrund seines größenwahnsinnigen Russlandhasses seiner eigenen Wirtschaft und seinen Bürgern zu schaden.

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Am 24. Februar kündigte der russische Präsident Wladimir Putin an, gemeinsam mit den Streitkräften der Donbass-Republiken eine militärische Spezialoperation in der Ukraine zu starten, um die dortige Bevölkerung zu schützen. Die Ziele seien, die Ukraine zu entmilitarisieren und zu entnazifizieren. Die Ukraine spricht von einem Angriffskrieg. Noch am selben Tag rief der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij im ganzen Land den Kriegszustand aus.
Der Westen verurteilte den Angriff, reagierte mit neuen Waffenlieferungen, versprach Hilfe beim Wiederaufbau und verhängte Sanktionen gegen Russland.
Auf beiden Seiten des Konfliktes sind zahlreiche Soldaten und Zivilisten getötet worden. Moskau und Kiew haben sich gegenseitig verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigt. Tausende Ukrainer sind mittlerweile aus ihrer Heimat geflohen.