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Warum die EU mit Chinas Belt and Road Initiative niemals in Konkurrenz treten kann

Der Versuch der Europäischen Union, mit ihrem Mega-Vorhaben "Global Gateway" zu Chinas Belt and Road Initiative (BRI) in Konkurrenz zu treten, ist zum Scheitern verurteilt, weil Brüssel nicht in der Lage ist, unter seinen Mitgliedern Einigkeit herzustellen.
Warum die EU mit Chinas Belt and Road Initiative niemals in Konkurrenz treten kannQuelle: AFP © Ludovic Marin

Ein Kommentar von Tom Fowdy

Am vergangenen Mittwoch hat die Europäische Kommission einen 300-Milliarden-Euro-Fonds mit dem Titel "The Global Gateway" vorgestellt. Die tritt damit in Konkurrenz zu Chinas Belt and Road Initiative (BRI), auch bekannt unter der Bezeichnung Neue Seidenstraße. Das Projekt sieht vor, dass die Mitgliedsstaaten der Union sowie Investoren aus dem Privatsektor zusammenkommen, um in eine "Alternative" für den Infrastrukturbedarf in Entwicklungsländern zu investieren.

Der Plan kommt zu einer Zeit, in der westliche Nationen alle möglichen neuen Projekte vorschlagen, um Chinas massivem Engagement bei der Finanzierung in ausländische Infrastrukturprojekte zu begegnen. Dazu gehört auch eine Initiative der USA mit dem Namen "Build Back Better" sowie die eines wesentlich kleineren britischen Projekts, das bereits unter Liz Truss angekündigt wurde, als diese noch Ministerin für internationalen Handel und Vorsitzende der Handelskammer im Kabinett von Boris Johnson war. Es scheint, dass die aktuelle westliche Agenda eine zwar multilaterale, aber jeweils sehr individuelle Bandbreite von Projekten beinhaltet, die alle darauf ausgerichtet sind, Peking entgegenzuwirken. Nebenbei vermitteln die westlichen Länder mit diesen Projekten den Eindruck, sich jenseits davon nicht wirklich um die Entwicklungsländer zu kümmern. Wie in einem BBC-Bericht dargelegt wurde, handelt es sich bei dem EU-Projekt, um ein nacktes Ringen um Einfluss, auch wenn China als Kontrahent nicht direkt benannt wird. Man macht sich aber nicht die Mühe, dies zu verbergen.

Wenn auch das letzte Wort noch nicht gesprochen ist – kann Global Gateway wirklich eine "Alternative" sein? Wird man diese große Vision erfolgreich verwirklichen können? Die Antwort ist einfach: "Nein". Die Europäische Union ist kollektiv der am schlechtesten positionierte und am wenigsten geeignete Akteur in diesem großen "Gerangel um Infrastruktur". Aus einer Vielzahl von Gründen wird dieses Projekt niemals seine Versprechen einhalten, geschweige denn mit dem monolithischen, hoch organisierten Mantra der Belt and Road Initiative konkurrieren können.

Weshalb? Die Gründe sind weniger strukturell als vielmehr politisch. Sie betreffen eher das "Wie" als das "Wenn" oder "Warum". Nüchtern betrachtet ließe sich zwar fragen: Warum sollten Länder höhere Investitionen in Infrastrukturprojekte aus Europa ablehnen? Egal, wo man gegenüber China steht, wäre es eine günstige Gelegenheit. Deutschland ist vor allem für seine Ingenieurskunst bekannt und bei der Infrastruktur ist Frankreich sehr erfolgreich; nicht umsonst beteiligt sich China an französischen Kernenergie-Initiativen. Europa hat Qualität, Erfahrung und Erfolg.

Aber das ist nicht dasselbe wie der Versuch, im Alleingang ein visionäres globales Infrastruktursystem für Entwicklungsländer zu organisieren. Angesichts der politischen und wirtschaftlichen Organisationsstrukturen der EU und des geplanten Fahrplans für die Umsetzung dieser Projekte sind Schwierigkeiten garantiert.

China ist ein hierarchisch organisierter kommunistischer Einparteienstaat, der seine Mega-BRI durch ein generalstabsmäßig durchorganisiertes System aus staatseigenen Banken und Ingenieur- und Bauunternehmen koordiniert, die Hand in Hand mit dem chinesischen Außenministerium zusammenarbeiten. Wenn China von oben herab anweist, dass etwas erledigt wird, wird es erledigt, und die Umsetzung überspringt alle bürokratischen Hürden. Ein Beispiel: Der Bau eines funktionsfähigen Krankenhauses innerhalb von zehn Tagen im chinesischen Wuhan kurz nach Ausbruch der Pandemie.

Demgegenüber ist die Europäische Union ein bürokratisches Ensemble von 26 verschiedenen Ländern, die in einer supranationalen Organisation existieren, die nur über begrenzte kollektive Souveränität verfügt und dadurch zu funktionieren versucht, dass punktuell Einigkeit und Konsenses zwischen den Mitgliedern hergestellt wird. Institutionen wie die Europäische Kommission versuchen, Gesetze zu verabschieden und deren Umsetzung zu steuern, agieren jedoch letztendlich nur als Schiedsrichter und haben wenig Macht, ihre Mitgliedsstaaten zum Handeln zu bewegen oder gar zu zwingen.

Die Europäische Union ist kein "Staat" und kann auf globaler Ebene nicht als kohärentes Gremium auftreten, ohne die Messlatte sehr niedrig zu legen. Dies macht es außerordentlich schwieriger, große transnationale Finanzprojekte mit einem unabhängigen Privatsektor in derselben Weise zu koordinieren, wie China es kann. Man verlässt sich auf den guten Willen und die vermeintliche Kooperationsbereitschaft von Unternehmen und Banken, die zwar an manchen Dingen interessiert sein könnten, aber letztlich viele Länder, in die China kopfüber eingetaucht ist, als unerwünscht, risikoreich oder finanziell unprofitabel betrachten. Die EU kann weder Unternehmen dazu zwingen, Investitionen zu tätigen noch kann sie auf allen Hochzeiten tanzen und dabei auf ihre "Standards" bestehen. Das hat nicht nur zur Folge, dass Projekte weniger wahrscheinlich werden, sondern sich auch deutlich länger hinziehen, bis sie zustande kommen.

Zweitens ist die Vorstellung irrig, die Europäische Union sei eine Union wohlhabender Gleichberechtigter, denn dies ist sie nicht. Die EU leidet unter unzähligen wirtschaftlichen Problemen, ihr Wirtschaftswachstum stagniert und weist ein riesiges Nord-Süd- und West-Ost-Gefälle auf. Sie kann nicht einmal ihren eigenen Infrastrukturbedarf decken, geschweige denn den anderer Länder. Vergangene Woche war ich auf einer Reise in Griechenland, einem Land, dessen BIP seit 2007 dank europäischer finanzieller Misswirtschaft, um 50 Prozent geschrumpft ist. Dort entdeckte ich die düstere Realität des Athener Hauptbahnhofs, der nicht einmal über einen funktionierenden Informationsbildschirm, sondern nur über alterndes, mit Graffiti verschmiertes Rollmaterial verfügt. Wie können sich einige EU-Staaten damit einverstanden zeigen, über einen Zeitraum von sieben Jahren hinweg 300 Milliarden Euro in einen ehrgeizigen, geopolitisch motivierten Wettlauf um die Infrastruktur ins Ausland zu pumpen, wenn in ihrem Inneren derart eklatante Defizite bestehen bleiben? Ist das fair?

Diese inneren Spaltungen sind real. Wir sehen das Ausmaß eines Ringens über ganz zentrale Dinge. Fast zeitgleich mit dem Ausbruch von Corona ist mit Großbritannien einer der wichtigsten Mitgliedsstaaten buchstäblich aus dem EU-Wiederaufbaufonds ausgetreten und mit der neuen Variante Omikron, steht eine neue Welle von Lockdowns und wirtschaftlichen Folgeschäden in weiten Teilen der EU bevor.

Zusätzlich scheren einige Staaten wie Polen und Ungarn aus und werden vermutlich versuchen, das Ganze zu drehen, zu verzögern und zu blockieren, als Teil ihres eigenen Ringens um Souveränität innerhalb der EU. Spricht es nicht Bände, dass Budapest China damit beauftragt hat, seine Hochgeschwindigkeitsstrecken zu bauen? Wo steht Brüssel bei all dem? In vielerlei Hinsicht kann sich die EU kaum zusammenhalten, geschweige denn koordinieren. Sie will mit der BRI konkurrieren, kann die BRI aber nicht einmal aus ihrem eigenen Territorium heraushalten.

Und zu guter Letzt – 300 Milliarden Euro klingen zwar viel, sind aber in Wirklichkeit nur ein Bruchteil des Investitionsvolumens der BRI. Wie es in einem Bericht des Silk Road Briefings heißt: Im ersten Quartal 2020 überstieg das Investitionsvolumen aller Projekte erstmals 4 Billionen US-Dollar. Darunter waren 1.590 BRI-Projekte mit einem Investitionsvolumen von 1,9 Billionen US-Dollar, während 1.574 andere Projekte mit einem Investitionsvolumen von 2,1 Billionen US-Dollar als "Projekte mit chinesischer Beteiligung" klassifiziert wurden. Bis 2019 wurden Projekte im Wert von mindestens 519 Milliarden US-Dollar bereits abgeschlossen. Dies alles zeigt, dass die EU zu wenig zu bieten hat und zu spät gekommen ist.

Die EU stürzt sich kopfüber in den Bau eines Luftschlosses, das zwar auf dem Papier greifbare Vorteile bringen würde, aber letztendlich und auf fatale Weise unrealistisch ist. Ein lockerer Zusammenschluss von Staaten mit allen möglichen eigenen Problemen will versuchen, mit einem kommunistischen Wirtschaftsriesen, der wie ein gut geöltes Getriebe funktioniert, zu konkurrieren. Global Gateway ist kaum mehr als ein PR-Gag, der schon von Beginn an zum Scheitern verurteilt sein könnte, weil Europa schlichtweg zu schlecht darin ist – und wohl auch weiterhin schlecht darin bleiben wird –, Dinge zu verwirklichen.

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Tom Fowdy ist ein britischer Autor und Analytiker für Politik und internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Ostasien. Er twittert unter @Tom_Fowdy

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