Zum Parteitag der Linkspartei: Weichenstellung für Rot-Rot-Grün
von Kaspar Sachse
Auch die Linkspartei hat nun ihren ersten digitalen Parteitag hinter sich. Dieser hielt, was er versprach. Nämlich nicht viel. Überraschende, gar revolutionäre Töne oder Ankündigungen gab es kaum. Das bereits vorher auserlesene Personal kam wie erwartet an die Fleischtöpfe, und die letzten fähigen Sachpolitiker strichen bereits vorher die Segel.
Der Freitag begann schleppend, die rund 550 Delegierten waren wegen der Corona-Krise lediglich online zugeschaltet. In dem zum Messe- und Kongresszentrum umgebauten ehemaligen Postbahnhof am Berliner Gleisdreieck befanden sich die Technik, eine Bühne, die Tagungsleitung sowie die Vertreter der Parteiführung.
Der erste "Höhepunkt" war die Rede des alten Parteichefs Bernd Riexinger, der sich mit Bezug auf Antonio Gramsci eine metapolitische Verankerung auch außerhalb der Parlamente wünschte:
"Der italienische Kommunist Antonio Gramsci hat einmal sinngemäß gesagt, dass eine Partei dann nicht zerstört werden kann, wenn sie ausreichend Multiplikator*innen, hervorgebracht hat. Menschen, die die Programme in die alltäglichen Kämpfe vor Ort übersetzen. Die den Menschen Gelegenheit geben, sich zu organisieren und die eigene Macht zu spüren. Diese Menschen sind das Herz der Partei."
Auf etwaige Brüche zwischen innerparteilichen verfeindeten Lagern ging er freilich in seiner gleichzeitig als Abschiedsrede vom Parteivorsitz nicht ein, sondern beendete diese mit hohen Erwartungen:
"Ich bin optimistisch, dass wir alle gemeinsam unsere Partei zusammenhalten. Dass wir dafür sorgen, dass mit der Linken eine politische Kraft verbunden wird, die für die Herrschenden unbequem ist und für die Interessen der Lohnabhängigen, Erwerbslosen und Rentnerinnen kämpft. Dass wir für alle fortschrittlich und sozial denkenden Menschen Hoffnungsträger für eine bessere und gerechtere Zukunft sind. Für die Solidarität der Vielen – gegen die Herrschaft der Wenigen."
Wie weit weg diese Attitüde von der Gedankenwelt der meisten Mitglieder ist, zeigte sich in den jeweils dreiminütigen Beiträgen der Debatte. Dort ging es fast ausschließlich darum, die "Corona-Pandemie" mit der "Klimakrise" und der "Flüchtlingskrise" für eine bessere Welt (mit noch mehr persönlichen Einschränkungen) zu verbinden, den "Kampf gegen rechts" (womit zumeist freilich konkret die AfD gemeint war) zu forcieren und natürlich allen, die keine weißen Cis-Männer sind, besondere Solidarität zukommen zu lassen.
Individuelle Freiheitsrechte, früher auch Grundrechte, heute "Privilegien" genannt, sind der Linken relativ egal. Seit dem ersten Lockdown steht sie fest an der Seite der Regierung, fordert teilweise gar noch härtere Maßnahmen und fügte sich brav in die antidemokratische Bedeutungslosigkeit des Bundestages im November. Wichtig ist dagegen die Unterstützung von Gruppen wie "Omas gegen Rechts" oder die den Herrschenden in die Karten spielende Diffamierung von Menschen, die wegen der "Maßnahmen gegen Corona" ihre Selbständigkeit, ihren Job oder ihre Gesundheit verloren und bei Protesten ihrem Unmut Luft gemacht haben, "als Verschwörungsthoretiker" oder "Corona-Leugner". Das zeigt sich auch im unwidersprochenen Narrativ der Impfstoffe für alle, das auch bei den Linken unhinterfragt als Erlöser von der Pandemie gesehen wird.
Auch hier zählt das Recht auf die Unverletzlichkeit des Körpers wenig, genau wie mögliche Spätfolgen der mRNA-Impfstoffe oder die geplante Einführung eines digitalen Impfpasses, der einer totalen Überwachung durch den Staat und Big-Tech Tür und Tor öffnet. Nein, lediglich die Macht der Pharmakonzerne soll ein wenig eingeschränkt werden, wie die zweite Parteivorsitzende Katja Kipping bei ihrem Abschied resümierte. Kipping forderte:
"Wir sollten nicht die Mär glauben, dass es ohne den tollen Markt keinen Impfstoff gegen Corona gäbe. Seit Monaten weigern sich Länder wie Deutschland, die USA und Großbritannien, die Patente für den Corona-Impfstoff auszusetzen. Der UN-Generalsekretär nennt diesen Impfnationalismus eine 'Verweigerung von Menschenrechten'."
Hier zeigt sich eine völlige Naivität beim Umgang mit "Kollateralschäden" und gesellschaftlichen Folgen von Corona. Dabei ist der Fokus dermaßen auf das Virus selbst verengt, dass die Linken überhaupt nicht merken, wie sie sich seit Beginn der von der WHO ausgerufenen Pandemie zu nützlichen Idioten von Big Pharma, Big Tech und Big Money machen. Jegliche berechtigte Kritik am RKI, dem Gesundheitsministerium oder diversen Virologen führten von Beginn an zum moralischen Bannstrahl von Kipping und Co.
Da wundert es auch nicht, dass die ganz wenigen Kritiker an der neuen, autoritären Staatsgläubigkeit der Partei auf dem Parteitag nicht in Erscheinung traten. Das waren bereits im Frühjahr 2020 Andrej Hunko und zuletzt, massiv erfolgreich auf ihrem Youtube-Channel, Sahra Wagenknecht. Dort fällt sie mit gut recherchierten Beiträgen zum Thema weltweite Umverteilung durch Corona von unten nach oben, Impfstoffskepsis und Kritik an der Regierung, insbesondere an Kanzlerin Angela Merkel, auf – alles Themen, die den Rest der Partei offenbar eher wenig angehen.
Nach dem Wegmobben aus der Parteispitze im Jahr 2019 fragen sich nicht wenige, warum sie sich das überhaupt noch antut. Auch ihr Parteifreund, der Finanzexperte Fabio De Masi, steht dem Bundestag für eine Wiederwahl im Herbst nicht mehr zur Verfügung. Der Hamburger hatte im Wirecard- und CumEx-Skandal den Mächtigen, unter anderem auch Finanzminister "Bazooka" Olaf Scholz, so richtig auf die Füße getreten, bemängelte zuletzt aber massive inhaltliche und zwischenmenschliche Diskrepanzen.
Wie wenig er vom Sachverstand der Linken in Wirtschaftsfragen hält, wurde nun in seinem Verzichtsschreiben auf eine zweite Legislaturperiode deutlich, das er pikanterweise wenige Tage vor dem Parteitag veröffentlicht hatte:
"Auch die beste Finanzpolitik bringt uns nicht weiter, wenn ich zwar Respekt für meine Arbeit bekomme, aber die Partei aufgrund strategischer Fehler und Erscheinungsbild schwächelt – obwohl viele unserer Forderungen in der Bevölkerung äußert populär sind. Dann steht das eigene Engagement in keinem gesunden Verhältnis mehr zu dem, was wir real für jene Millionen Menschen erreichen, die im Unterschied zum großen Geld keine Lobby im Parlament haben."
Damit verliert die Linke wieder einen fähigen und sachkundigen Politiker, während die Reihen auffällig mit Langzeitstudierenden (sic!) aus vornehmlich weichen Fächern wie Sozialpädagogik oder Politikwissenschaften ohne jegliche Berufserfahrung geschlossen werden.
Am Samstag wurde in erster Linie gewählt. Die hessische Landtagsfraktionschefin Janine Wissler trat als einzige Bewerberin auf der Liste zur Sicherung der Mindestquotierung (der "Frauenliste") an und erhielt 448 von 532 abgegebenen Stimmen (84,2 Prozent). 64 Delegierte stimmten gegen sie, 20 enthielten sich.
Die Thüringer Landes- und Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow hatte im anschließenden Wahlgang auf der offenen Liste zwei eher unbekannte Mitbewerber: Reimar Pflanz aus dem Landesverband Brandenburg und Torsten Skott aus dem Landesverband Mecklenburg-Vorpommern. Hennig-Wellsow entschied die Wahl mit 378 von 536 Stimmen für sich (70,5 Prozent). Pflanz erhielt immerhin 104 Stimmen (19,4 Prozent), Skott bekam 15 Stimmen (2,8 Prozent).
Der Urberliner Pflanz hatte zuvor in einer charismatischen Rede einen Kontrast zur Identitätspolitik gesetzt, mit der vor allem Hennig-Wellsow identifiziert wird. Er stehe darüber hinaus für ein "klares Nein" zu einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene. Es sei "Hochstapelei", zu glauben, die Linke werde bei Rot-Rot-Grün den Kurs der Regierungspolitik mitbestimmen:
"Wir werden nicht umgestalten, wir werden umgestaltet werden."
Die Partei stellt gerade die Weichen, "um [selbst] Staat zu werden". Die Haltung zur NATO und zu Auslandseinsätzen werde immer stärker relativiert. Pflanz bemängelte, dass sich in Leitantrag und Wahlprogrammentwurf keine "anstößigen" Begriffe mehr wie (Anti-)Imperialismus etc. befinden.
Diese Entwicklung könne zur Folge haben, dass in Zukunft nur noch "linke Floskeln und linke Folklore von uns übrigbleiben" und dass neoliberale Nebelkerzen, also "Nebensächlichkeiten zu Hauptfragen hochstilisiert" werden. Zum Schluss kritisierte er eine "gelenkte Debatte und gefilterte Kommunikation".
Wie ans "System" angepasste Parteien sich um 180 Grad um ihren Markenkern drehen, zeigt sich exemplarisch bei den Grünen, die in Baden-Württemberg schwärzer als die CDU agieren und an die Stelle von Bürgerrechten, Antikriegsrhetorik und Umweltschutz zwanghafte Reglementierungen, NATO-Sympathien und Elektroautos gesetzt haben.
Einen ähnlichen Weg geht nun die Linke, allen voran die neue Parteichefin Hennig-Wellsow, die bundesweit bekannt wurde, als Sie in den frisch gewählten Minister Thüringens Thomas Kemmerich (FDP), der 2020 mit Stimmen der AfD die Landtagswahl für sich entschieden hatte, den eigentlich für Bodo Ramelow gedachten Blumenstrauß vor die Füße warf:
"Ich möchte, dass sich die Linke auf eine Regierungsbeteiligung vorbereitet."
Nun hat sich auch ihre neue Co-Vorsitzende Wissler nicht abgeneigt gezeigt, nach der Bundestagswahl in eine rot-rot-grüne beziehungsweise grün-rot-rote Bundesregierung einzutreten. Die Vorsitzende der hessischen Landtagsfraktion sagte, die hessische Linke habe bereits 2008 eine Tolerierungsvereinbarung mit SPD und Grünen geschlossen. Mit Blick auf die Bundestagswahl 2021 resümierte Wissler, vor der Wahl spreche die Linke über ihre eigenen Positionen und "anschließend über Koalitionen".
Die politische Richtung ist nun also klar, mal sehen, ob der Wähler dann auch mitspielt.
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