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Mehr als nur Waffen: Warum Afrika und Russland sich gegenseitig brauchen

Im Vorfeld des Russland-Afrika-Gipfeltreffens versuchte der Westen, die Afrikaner von einer Teilnahme abzubringen. Die Veranstaltung sollte und konnte Russland und die afrikanischen Länder hingegen wieder einander näherbringen. Doch was könnte ein Ausbau der Kooperation beiden Seiten bringen?
Mehr als nur Waffen: Warum Afrika und Russland sich gegenseitig brauchenQuelle: Sputnik © Alexandr Krjaschew

Von Pjotr Akopow

Der Putsch in Niger, der am ersten Tag des Russland-Afrika-Gipfeltreffens stattfand, gehört in die Kategorie von vorsätzlich geplanten Vorfällen, denn er zeigt, dass keine Tricks und keine Propaganda die realen historischen Prozesse außer Kraft setzen können.

Worin besteht die Symbolik des Staatsstreichs in Niamey? Es ist die Tatsache, dass bereits in der Vorbereitungsphase des Russland-Afrika-Gipfels ein ernsthafter geopolitischer Kampf im Gange war: Die westlichen Länder, allen voran die USA, versuchten hartnäckig, die afrikanischen Staaten davon zu überzeugen, nicht am Gipfel in Sankt Petersburg teilzunehmen – oder zumindest den Status ihrer Delegationen herabzustufen.

Einige Staaten beschränkten sich schließlich auf die Entsendung von Ministern anstelle von Regierungs- oder Staatschefs, während neun von 54 Ländern dem Druck nicht standhalten konnten und beschlossen, überhaupt nicht an diesem Treffen teilzunehmen – und Niger war eines dieser Länder. Doch am Donnerstag wurde Nigers Präsident Mohamed Bazoum von seiner eigenen Garde gestürzt, und bei Demonstrationen zur Unterstützung der Putschisten in der Hauptstadt Niamey tauchten sogar einige russische Fahnen auf.

Natürlich hatte Russland auch mit diesem Putsch nichts zu tun – es gibt nicht einmal eine russische Botschaft in Niamey, aber das hat die Besorgnis des Westens nicht verringert. Schließlich ist Niger in den letzten Jahren zum wichtigsten militärischen Drehpunkt für Frankreich und die Vereinigten Staaten von Amerika geworden – vor allem, nachdem Paris seinen Einfluss in den Nachbarländern Mali und Burkina Faso verloren hat. Und wo waren deren Staats- und Regierungschef zum Zeitpunkt des Putsches in Niger? Richtig, in Sankt Petersburg, um sich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu treffen.

Der Westen hat Russland nicht für den Putsch in Niger verantwortlich gemacht, ist aber besorgt, dass Kämpfer der privaten Militärfirma Gruppe Wagner, die bereits in den Nachbarländern präsent sind, nun auch in diesem Land auftauchen könnten und Russland ein weiteres Land in "Französisch-Afrika" zu seinen Gunsten nutzen könnte. Was war also passiert? Während das US-Außenministerium und das französische Außenministerium (sowie britische und EU-Beamte) auf die afrikanischen Staats- und Regierungschefs einwirkten, um sie von Reisen nach Russland abzuhalten, fiel ein weiteres Land des prowestlichen Lagers in Russland in die Hände. Und das ohne jegliche Anstrengung vonseiten Putins?

Nein, die Situation ist viel einfacher zu erklären: Während der Westen den russischen Einfluss in Afrika bekämpft, verlieren die eindeutig prowestlichen Machthaber ihren Einfluss. Schließlich ruinierte Bazoum nicht die prorussische Ausrichtung des Generals, der ihn absetzte – die gibt es nämlich nicht. Sondern es war die Tatsache, dass er ein schwacher und abhängiger Herrscher war. Und diese Schwäche äußerte sich unter anderem in seiner Weigerung, eine Delegation zum Gipfeltreffen nach Sankt Petersburg zu entsenden. Ein starker Herrscher hätte sich dem westlichen Druck nicht gebeugt – wie es beispielsweise der Kongolese Denis Sassou-Nguesso oder Yoweri Museveni Uganda taten, die nach Russland reisten.

Ihre Reden auf dem Gipfeltreffen gehörten zu den interessantesten – und zwar nicht, weil beide über große Erfahrung in der Führung ihrer Länder verfügen (Sassou-Nguesso regiert – mit einer kurzen Unterbrechung – seit mehr als 40 Jahren; und Museveni, ein ehemaliger Partisan, führt sein Land seit 38 Jahren). Sondern weil sie starke, unabhängige Persönlichkeiten sind, die sich nicht unter Druck setzen lassen. Sie können nicht gezwungen werden, das aufzugeben, was sie für die Stärkung der nationalen Souveränität ihrer Länder für wichtig halten. So handelte auch Paul Biya, der Kamerun seit 43 Jahren anführt. Auch dieser Patriarch der afrikanischen Politik reiste trotz seiner engen Beziehungen zu Frankreich nach Sankt Petersburg. Und diese drei erfahrenen und intelligenten Staatsoberhäupter saßen an einem Tisch mit den jungen Interims-Staatschefs von Mali und Burkina Faso – dem 40-jährigen Oberst Assimi Goïta und dem 35-jährigen Hauptmann Ibrahima Traoré, die erst seit Kurzem an der Macht sind (Traoré ist noch nicht einmal ein Jahr an der Macht), aber bereit sind, die Interessen ihrer Länder zu vertreten.

Die Rede von Traoré auf dem Gipfeltreffen war insgesamt sehr aufrichtig. Er entschuldigte sich bei den Älteren (Paul Biya aus Kamerun ist zum Beispiel 90 Jahre alt) und sagte:

"Wir afrikanischen Staatschefs müssen aufhören, uns wie Marionetten zu verhalten, die jedes Mal springen, wenn die Imperialisten an den Fäden ziehen."

Und der Hauptmann beendete seine Rede mit den Worten eines Revolutionärs: "Würde und Respekt für unsere Nationen! Sieg unseren Völkern! Ich danke euch, Genossen. Vaterland oder Tod!"

Traoré repräsentiert ein armes, aber sehr interessantes Land: Das ehemalige Obervolta benannte sich in den 1980er Jahren um – in Burkina Faso, "Land der aufrichtigen Menschen" – und wurde damals von einem anderen Hauptmann, Thomas Sankara, geführt, der – nach seiner Ermordung im Jahr 1987 – wegen seiner Ehrlichkeit und seiner Sorge um die einfachen Menschen fast zu einer gesamtafrikanischen Legende wurde.

Sankara war übrigens weder ein Protegé der UdSSR noch ein Kommunist – er wollte einfach nur sein Land auf den Grundsätzen der Gerechtigkeit aufbauen, was nicht möglich ist, ohne den Neokolonialismus zu bekämpfen, mit dem der Westen noch immer die afrikanischen Staaten kontrollieren will. Mancherorts gelingt das den westlichen Staaten noch, insgesamt ist aber der Trend zu einer wirklichen Entkolonialisierung deutlich zu erkennen – Afrika nutzt dazu auch den verschärften Konkurrenzkampf der Weltmächte aus.

China, die Türkei, arabische Länder, Japan, Indien, Südkorea, Brasilien – sie alle haben ein großes Interesse an Afrika, seinem Reichtum und seinem Potenzial. Es ist der letzte Kontinent mit einer wachsenden Bevölkerung, deren Verbrauchsniveau steigen wird, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Afrika auch bei fast allen Infrastrukturen – Energie, Verkehr, Soziales – noch große Defizite aufweist. Schon jetzt hat der Westen in Afrika enorme Konkurrenz – China hat die USA im Handel und bei den Investitionen schon längst verdrängt. Und Europa muss dem wachsenden Druck der reichen Länder der islamischen Welt in Afrika (von denen ein beträchtlicher Teil zur islamischen Umma gehört) standhalten. Unter diesen Bedingungen kehrt Russland nach Afrika zurück – an den Ort, wo die Menschen sich noch sehr gut an uns wegen der Unterstützung durch die Sowjetunion in den 1960er bis 1980er Jahren erinnern, auch wenn wir seit der Auflösung der Sowjetunion dort kaum noch präsent waren.

Warum braucht Russland Afrika – und warum braucht Afrika Russland? Im Westen gibt es ein klares Antwortmuster: Russland nutzt den Schwarzen Kontinent, um zu zeigen, dass es sich nicht in internationaler Isolation befindet, und die afrikanischen Staats- und Regierungschefs brauchen Moskau als Waffenlieferanten und zur Stärkung ihrer Regime mittels russischer privater Militärfirmen. Diese simple Propaganda hat aber nichts mit der Realität gemein – die "Isolierung" Russlands funktioniert zuallererst nur vom Westen aus, ohne dass Asien oder Lateinamerika sich automatisch dem anschließen würden, und Waffen kann man in der modernen Welt auch von China oder Frankreich oder sonst wem kaufen.

Russland braucht Afrika, weil es ein riesiger wachsender Markt für unsere Waren und Technologien (von Getreide bis zu Kernkraftwerken) und eine wichtige geopolitische Einflusssphäre ist (die sich in Militärbasen, bei Abstimmungen in der UNO und so weiter messen lässt).

Und für die Afrikaner ist Russland ein bewährter, weil verlässlicher Partner, der sich in seinen Zielen, Methoden und in seinem eigenen Wesen wirklich vom Westen unterscheidet – das war zu Zeiten der Sowjetunion so, und das gilt auch heute. Genau darüber sprach Wladimir Putin auf dem Gipfeltreffen:

"Traditionelle Werte sind die Grundlage unserer Identität, unserer Existenz und unserer Souveränität. Das ist natürlich das, was den Kern unserer Staatlichkeit ausmacht.
...

Das ist es, was Russland und die überwältigende Mehrheit der Menschen, die auf dem afrikanischen Kontinent leben, also mit der überwältigenden Mehrheit der afrikanischen Länder, eint."

Traditionelle Werte sind nicht nur Familie und Religion, sondern auch der Wunsch und die Fähigkeit, gemäß dem eigenen Verstand, den eigenen Ideen und Idealen leben zu wollen. Und hier ist Russland wirklich ein Vorbild für Afrika, weil es die Möglichkeit einer eigenständigen Entwicklung immer wieder bewiesen hat und nach wie vor beweist. Das ist es, wovon Afrika träumt, was man dort anstrebt.


Übersetzt aus dem Russischen, zuerst erschienen am 29. Juli 2023 bei RIA Nowosti.

Pjotr Akopow ist Kolumnist und Analytiker bei RIA Nowosti.

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