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Fehleinschätzung: Ukraine irrt über Israels Unterstützungswillen

Kiew glaubt naiv, dass Tel Aviv die Ukraine in demselben Umfang unterstützen wird, wie es westliche Länder tun. Aber das ist ein großer Denkfehler.
Fehleinschätzung: Ukraine irrt über Israels Unterstützungswillen

Von Robert Inlakesh

Seit dem Beginn des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine vertritt Israel eine sogenannte "neutrale" Haltung zwischen beiden Seiten. Dieser Standpunkt der Neutralität, der von weiten Teilen der Welt außerhalb des kollektiven Westens vertreten wird, wurde unter dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu vertieft. Netanjahu verkündete, er wolle die regionalen Interessen Israels durch die Aufrechterhaltung der Beziehungen zu Moskau schützen.

Zwischen Israel und der Ukraine kam es zu einem Streit, nachdem der ukrainische Botschafter in Israel, Jewgeni Kornitschuk, der Regierung Netanjahu vorgeworfen hatte, einen "Weg der engen Zusammenarbeit" mit Russland einzuschlagen. Dies veranlasste das israelische Außenministerium, den ukrainischen Gesandten zur Abmahnung einzubestellen. Am 23. Juni, nur wenige Tage vor den scharfen Äußerungen des Botschafters über Israels "offensichtliche Missachtung moralischer Grenzen", hatten zwei US-Senatoren einen Brief an den Streitkräfteausschuss des Senats geschrieben, in dem sie sich darüber beschwerten, dass Israel den Transfer von Luftverteidigungsbatterien Iron Dome, die den USA gehören, in die Ukraine blockiere.

Die israelische Regierung ist in diesem Jahr schon einmal unter Druck gesetzt worden, um Militärhilfe an die Ukraine zu leisten, obwohl Israel sich bei den Vereinten Nationen auf die Seite der Ukraine gestellt, Russland verurteilt und sogar zweistellige Millionenbeträge an humanitärer Hilfe nach Kiew überwiesen hat. Darüber hinaus hat Israel kürzlich den Transfer von Frühwarnsystemen und Anti-Drohnen-Technologie für die ukrainische Nutzung genehmigt.

Tatsache ist, dass die israelische Regierung nicht wirklich neutral geblieben ist und der Ukraine aktiv geholfen hat. Das Problem für das Regime in Kiew besteht jedoch darin, dass es vom kollektiven Westen auf einen Sockel gestellt worden ist und daher erwartet, dass es von Israel genauso behandelt wie von der EU, dem Vereinigten Königreich und den USA. Mit seiner Kritik an der Zurückhaltung Israels, militärische Hilfe zu leisten, äußert Kiew vor allem das, was es als moralische Kritik betrachtet.

Der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij erklärte vor der israelischen Knesset im März vergangenen Jahres:

"Die Bedrohung, der wir gegenüberstehen, ist für uns und für Sie dieselbe. Die Zerstörung eines Volkes und sogar des Namens des Landes."

Damit versuchte er, beide Länder als moralische Akteure darzustellen, die für Freiheit und Unabhängigkeit kämpfen. Die Ukraine beschuldigt Russland, ein illegaler Besatzer zu sein, Gebiete annektiert zu haben und täglich Kriegsverbrechen zu begehen. Das alles sind Dinge, die auch in Bezug auf Israel gut dokumentiert sind, was die Glaubwürdigkeit Kiews bei seiner moralischen Analysen erheblich schwächt. Einerseits behauptet Kiew eine illegale Besetzung und Annexion durch Russland, vergleicht andererseits seinen Kampf aber mit dem eines der berüchtigtsten Besatzer von fremdem Territorium.

Was die Ukraine nicht erkennt, ist, dass Israel, obwohl es in vielerlei Hinsicht sehr mit dem Westen verbunden ist, nicht dasselbe ist wie die NATO-Mitglieder. Tel Aviv ist, genau wie Kiew, ein strategischer Aktivposten für Washington und war vor dem Krieg im Jahr 2022 der wichtigste Empfänger von US-Auslandshilfen. Israel verlässt sich zwar auf den kollektiven Westen, um seine für beide Seiten vorteilhafte Mission im Nahen Osten fortzusetzen, strebt aber keinerlei Versuche an, von seinem derzeitigen Kurs abzuweichen. Das ist etwas, das Netanjahu gut versteht. Daher findet er auch weiterhin die richtige Balance, um Washington nicht zu verärgern und den Zorn Moskaus nicht auf sich zu ziehen. Als Netanjahu vergangenes Jahr Chef der israelischen Opposition war, kritisierte er tatsächlich den damaligen israelischen Premierminister Yair Lapid für sein "Geschwätz" über Russland und warf ihm vor, die nationale Sicherheit Israels zu gefährden.

Als Netanjahu Anfang 2023 von der New York Times nach seiner Beziehung zum russischen Präsidenten Wladimir Putin gefragt wurde, bezeichnete er diese als "immer noch sehr wichtig". Er machte deutlich, dass zwischen Russland und Israel im Zusammenhang mit israelischen Offensivoperationen gegen den Iran in der Region ein Mechanismus eingerichtet worden sei, "um diesen Zusammenstoß, diesen Krieg, diesen russisch-israelischen Krieg zu verhindern", von dem Netanjahu befürchtet, dass er stattfinden könnte, wenn es keine Koordinierung gäbe. Er hat sehr deutlich gemacht, dass der wichtigste Aspekt der russisch-israelischen Herzlichkeit die Wahrung der Handlungsfreiheit des israelischen Militärs in Syrien ist.

Eine der wichtigsten außenpolitischen Sorgen Israels ist die Ausweitung von Irans Einfluss und Macht im Nahen Osten. Es ist folglich klar, dass der israelische Ministerpräsident auch über die Vertiefung der Beziehungen zwischen Teheran und Moskau auf mehreren Ebenen besorgt ist, die seiner Befürchtung zufolge, im Falle einer Verschlechterung der Beziehungen zwischen Israel und Russland, zu einer noch bedrohlicheren Lage führen könnte. In diesem Sinne hat die israelische Regierung Anfang des Monats ihre Beziehungen vorangetrieben, indem sie Mitte Juni einen Landstreit mit Moskau beigelegt hat. Im Gegenzug beschloss Russland, eine Zweigstelle seiner in Tel Aviv ansässigen Botschaft in Jerusalem zu eröffnen.

Es ist wahrscheinlich, dass die Ukraine versucht, einen öffentlichen Streit mit der israelischen Regierung anzuzetteln, um die USA stärker in die Bemühungen um den Transfer militärischer Hilfe einzubeziehen. Anstatt tatsächlich etwas Sinnvolles anzubieten, bettelt Kiew im Grunde genommen um immer mehr Militärhilfe im Gegenzug für nichts. Und daran haben die Nationen außerhalb des Machtkreises des Westens kein Interesse. Die Welt ist in eine neue multipolare Ära eingetreten, in der die US-Regierung nicht mehr die alleinige dominierende internationale Macht ist. Versuche, Nationen moralische Vorhaltungen zu machen, stoßen außerhalb des Westens auf taube Ohren, da die Vorstellungen von der "auf Regeln basierenden Ordnung" und der "freien Welt" international als bedeutungslose Plattitüden wahrgenommen werden.

Israel bringt seine Interessen mit der Ukraine nur deshalb in Einklang, weil es im westlichen Machtbereich verbleiben will. Derzeit haben umstrittene Änderungen im israelischen Rechtssystem, Verstöße gegen die roten Linien der USA im Einklang mit der Politik der Siedlungserweiterung im Westjordanland und Maßnahmen rechtsextremer israelischer Minister eindeutig für Bestürzung bei einer sehr pro-israelischen Administration in Washington gesorgt. US-Außenminister Antony Blinken, der versucht hat, die größte außenpolitische Errungenschaft der Biden-Regierung im Nahen Osten herbeizuführen, nämlich die saudisch-israelische Normalisierung, hat kürzlich zum Ausdruck gebracht, dass dies nun "schwieriger, wenn nicht unmöglich" sei.

Für US-Präsident Joe Biden war die Unterzeichnung eines Dokuments über die Normalisierung der Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und Israel eindeutig ein wichtiges Wunschziel, für dessen Störung er jetzt die aktuelle Eskalation der Gewalt im Westjordanland verantwortlich macht. Israel braucht die USA an seiner Seite und erhält tatsächlich ein Maß an Zuwendung, das nur noch von der Aufmerksamkeit übertroffen wird, die derzeit der Ukraine zuteilwird. Das jüngste Beispiel hierfür ist die Intervention der USA im Libanon. Berichten zufolge übte die US-Regierung starken Druck auf die libanesische Regierung, die Armee und die UNIFIL-Streitkräfte aus, um einen von der Hisbollah auf libanesischem Territorium errichteten Außenposten aufzulösen.

Israel braucht bei jedem Schritt die Unterstützung der USA bei der Lösung seiner Probleme. Das Land weiß aber auch, dass es ein fataler Fehler wäre, sich andere Nationen wie Russland und China zu Feinden zu machen. Die einzige Möglichkeit, dass Israel seine Meinung über seine derzeitige Haltung der Neutralität zwischen der Ukraine und Russland ändern könnte, bestünde darin, dass die USA ein Machtwort sprechen. Jedoch ist das etwas, das unter der gegenwärtigen Doktrin der "bedingungslosen Unterstützung", die Washington mit Israel pflegt, wahrscheinlich nicht passieren wird.

Aus dem Englischen.

Robert Inlakesh ist politischer Analyst, Journalist und Dokumentarfilmer und lebt derzeit in London. Er hat aus den besetzten palästinensischen Gebieten berichtet und dort gelebt. Inlakesh arbeitet derzeit für Quds News und Press TV. Er ist Regisseur des Films "Diebstahl des Jahrhunderts: Trumps Palästina-Israel-Katastrophe". Man kann ihm auf Twitter unter @falasteen47 folgen.

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