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Lieferung von Streumunition an Kiew offenbart ein Dilemma der USA

Streumunition wird der Ukraine keine Vorteile auf dem Schlachtfeld bringen. Tendenziell ist sie sogar weniger effektiv und zielgenau, als es konventionelle Sprenggeschosse sind. Die Tatsache, dass die USA diese hochumstrittene, weltweit geächtete Munition dennoch liefern, zeugt davon, dass man in Washington, D.C. offenbar vor einem Dilemma steht.
Lieferung von Streumunition an Kiew offenbart ein Dilemma der USAQuelle: Gettyimages.ru © Indigoai

Von @Panzwaffle

Die Geschichte um die Lieferung der 155-Millimeter-Streumunition an die Ukraine ist aus politischer Sicht interessanter als aus militärischer. Denn prinzipiell neue militärische Möglichkeiten eröffnet diese Munition nicht, und deren Lieferung stellt im Grunde eine Übergangsmaßnahme dar, was die USA offen verkünden.

So sagte Jake Sullivan, der Nationale Sicherheitsberater des US-Präsidenten, dass die Streumunition als Übergangsmaßnahme dienen solle, bis die Produktion der konventionellen Munition gesteigert sein werde.

Dieses Problem der Erschöpfung von Vorräten an konventioneller Munition bestätigte auch Biden. Während einer Pressekonferenz sowie auch in einem Interview mit CNN behauptete der US-Präsident: "Dieser Krieg stützt sich auf die Munition. Und der Ukraine geht sie aus. Sie geht auch uns aus." Dabei stellt die eigentliche Tatsache dieser Lieferungen einen nicht besonders angenehmen, sondern somit eher erzwungenen und sogar gefährlichen Präzedenzfall dar.

Warum?

Vor fast genau zehn Jahren, am 17. Juli 2013, und somit während der Regierungszeit der Ikone der Demokratischen Partei der USA Barack Obama hatte sich eine Gruppe von Senatoren und Kongressmitgliedern – selbst ebenfalls von den "Demokraten" – in einem Brief an den US-Präsidenten gewandt.

Darin riefen sie dazu auf, die Politik des US-Verteidigungsministeriums hinsichtlich der Verwendung von Streumunition zu revidieren. Die Autoren bezeichneten diese Munition als "nichtselektiv", für Zivilisten gefährlich und verwiesen auf das Beispiel der Einsätze in Laos. Nach dem Vietnamkrieg wurden 8.750 Quadratkilometer des Territoriums dieses Landes [Anm. d. Red.: etwa knapp die Hälfte der Fläche von Sachsen] zu einer Gefahrenzone, die von Blindgängern übersät ist. Mittels der Streumunition hatte das US-Militär versucht, den vietnamesischen Gegner auf dem sogenannten Ho-Chi-Minh-Pfad zu behindern.

Und nun beachte man das Fazit des Briefes:

"Streumunition ist nichtselektiv, unzuverlässig und stellt ein inakzeptables Risiko sowohl für Militärangehörige der USA als auch für Zivilisten dar."

Schließlich wurde in den USA diese Streumunition zunehmend ausgemustert und eingelagert. Nun holt man sie wieder aus den verstaubten Ecken der Munitionsarsenale.

Ironischerweise tut das ein US-Präsident der sogenannten "Demokratischen Partei", der mehrmals seine Treue gegenüber den liberalen Werten betonte und der oft den angeblich viel kriegslüsterneren Republikanern gegenübergestellt wird.

Vergessen wir indes nicht, dass in den USA schon wieder der Wahlkampf unmittelbar bevorsteht. Selbstverständlich werden sich die Gegner der Biden-Administration solch einen hervorragenden Kritikpunkt nicht entgehen lassen – weder im Inland noch im Ausland. Daher ist eine Intensivierung von Rhetorik mehr als wahrscheinlich, etwa in der Art "Er nahm dem US-amerikanischen Volk Milliarden weg, gab barbarische Waffen an die Ukraine und erreichte – nichts".

Allem Anschein nach scheint die derzeitige US-Führung vor der folgenden Wahl zu stehen: Entweder Streumunition an Kiew liefern – und eine Kritikwelle von Verbündeten und Gegnern auf sich ziehen – oder sie nicht zu liefern, dann aber hätte das ukrainische Militär nichts mehr zum Verschießen.

Was bleibt am Schluss übrig?

Die wichtigsten Vorteile der 155-Millimeter-Streumunition der Typen M483 und M864 (und genau davon gibt es in den US-Depots am meisten) bestehen darin, dass sie jetzt sofort verfügbar ist und dass es viel davon gibt. Doch damit enden auch schon die unzweifelhaften "Vorzüge".

Im Vergleich zu gewöhnlichen Sprenggeschossen ist Streumunition weniger universell. Beispielsweise eignet sie sich schlechter zur Zerstörung von Befestigungen und ist auch in einer urbanen Umgebung weniger effektiv.

Und natürlich hatten die demokratischen Politiker aus dem Jahr 2013 ganz recht: Streumunition ist tatsächlich nichtselektiv und gefährlich für alle Beteiligten und Unbeteiligten. Freilich stellt das Schicksal der ukrainischen Militärangehörigen und erst recht der dort lebenden Zivilisten die allerletzte Sorge der Führung in Washington dar. Schließlich sind "inakzeptable Risiken" nur für US-Amerikaner inakzeptabel, der Rest auf der Welt kann und soll das aushalten.

Übersetzt aus dem Russischen.

Der anonyme Autor (oder das Autorenkollektiv) veröffentlicht im Telegram-Kanal Panzwaffle eigene Kommentare sowie die Kommentare Dritter zu militärischen Belangen nebst themenbezogenem Bild- und Videomaterial und wird als Militärexperte auch von russischen Medien zitiert und veröffentlicht.

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