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"Überhöhte Erwartungen" – Westen wird auf ein Scheitern der Gegenoffensive Kiews vorbereitet

Westliche Medien haben damit begonnen, das West-Publikum auf die Möglichkeit vorzubereiten, dass die "lang ersehnte ukrainische Gegenoffensive" scheitern könnte. Einige ziehen sogar Vergleiche zum Abzug der US-Truppen aus Afghanistan und der Flucht des damaligen Präsidenten des Landes.
"Überhöhte Erwartungen" – Westen wird auf ein Scheitern der Gegenoffensive Kiews vorbereitet© AP Photo/Libkos

Von Dawid Narmanija

Die US-Zeitschrift Politico hat aufgezeigt, was auf Kiew und Washington in einigen Monaten zukommen wird. Der Zeitpunkt ist natürlich fraglich – alles hänge von der ukrainischen Offensive ab, über die es bereits im Frühwinter erste Gerüchte gab. Nun heißt es, die ukrainischen Truppen würden bis zum Sommer warten.

Zu den Gerüchten kommen nun die sogenannten Pentagon-Leaks hinzu – wie viel davon wahr und wie viel erfunden ist, wissen wohl nicht einmal die US-Militärs selbst, aber ihre Medienkollegen haben kein Problem damit. Das in der Zeitschrift dargestellte Szenario wird jedoch auch von politischen Analysten bestätigt.

Nach der Offensive, die laut den Autoren des Artikels nicht nur die erklärten Ziele der "Wiederherstellung der Grenzen von 1991" nicht erreichen, sondern auch kaum den September des letzten Jahres wiederholen werde, stehen die Ukraine und vor allem die USA vor einer schwierigen Frage: Wie geht es weiter?

Für Kiew – oder besser gesagt für Präsident Wladimir Selenskij und seine Kumpane – gibt es nur wenige Alternativen. Sie haben nur eine Funktion – das Leben der Ukrainer gegen die Dollars der US-amerikanischen Steuerzahler einzutauschen, die im Schmelztiegel des US-amerikanischen militärisch-industriellen Komplexes sehr schnell verbrennen. Die Diener bekommen auch etwas vom Kuchen ab, wobei Washington schon selbst zugibt, dass es sich nur um ein Fünftel der Gesamtausgaben handelt.

Doch das Weiße Haus verdient sein hegemoniales Brot nicht umsonst. Dort versteht man es, geeignete Figuren für solche Zwecke zu finden. Deshalb trennen sie sich auch ohne jegliche Gewissensbisse von ihnen. Politico führt Afghanistan als Beispiel an. "Vertreter der USA haben die Ukraine vor den Gefahren übermäßiger Ambitionen gewarnt", schreiben die Autoren des Artikels und führen das Beispiel des ehemaligen afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani an, der nach dem Abzug der US-Amerikaner gezwungen war, das Land zu verlassen. Die Andeutung, dass Selenskij das gleiche Schicksal droht, ist zwar leicht zu erkennen, erscheint aber eigentlich überflüssig.

Gleichzeitig wies die Zeitschrift darauf hin, dass sich die ukrainischen Behörden selbst nicht auf konkrete Ziele festlegen konnten. Der stellvertretende Leiter des Präsidentenbüros von Selenskij sagt, dass Kiew bereit sein würde, sich an den Verhandlungstisch zu setzen, wenn es den ukrainischen Streitkräften gelinge, bis an die Grenzen der Krim vorzustoßen. Währenddessen behauptet die ständige Vertreterin des ukrainischen Präsidenten auf der Halbinsel, Tamila Taschewa, dass eine diplomatische Lösung des Konflikts erst dann beginnen könne, wenn die russischen Truppen die Region verlassen. Doch vor dem Hintergrund von Selenskij selbst, der erklärt hat, dass Verhandlungen mit Russland unmöglich seien, solange Wladimir Putin an der Macht bleibt, wirkt selbst die "ständige Vertreterin", die seit 2014 nicht mehr auf der Krim gewesen ist, überzeugender.

Die Ukraine ist bei diesem blutigen Festmahl natürlich nicht der Hauptgast, sondern eher die Speise. Diejenigen aber, die zusammen mit Washington das Festmahl mit ihren Euros finanzieren, werden langsam müde. Und diesseits des Atlantiks werden viele von ihnen das Scheitern der ukrainischen Armee als Vorwand nehmen, um Kiew an den Verhandlungstisch zu setzen.

Und in den USA selbst beginnt man zu begreifen, dass sich das Warten in die Länge zieht, und wenn die Offensive nicht die hochgeschraubten Hoffnungen erfüllt, werden sowohl die Befürworter eines Krieges bis zum letzten Ukrainer als auch die Befürworter eines Friedens ohne Annexionen und Zusprüchen Joe Biden die Schuld geben. Erstere, weil er nicht alle Wünsche Kiews erfüllt hat, Letztere, weil die Ukraine zu viel Geld für den US-Haushalt gekostet hat.

Der Artikel selbst bereitet die Leser, wenn nicht auf Verhandlungen, so doch auf ein Einfrieren des Konflikts vor. Ist ein solches Szenario jedoch für Russland von Vorteil? Die Möglichkeiten einer diplomatischen Lösung unter Beibehaltung des Status quo scheinen ausgeschöpft zu sein. Der russische Außenminister Sergei Lawrow erinnerte am Sonntag in einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats an die Gründe für die Einleitung der Sonderoperation: die Beseitigung der Bedrohung durch die NATO und der Schutz der Menschen, die den Putsch auf dem Maidan nicht akzeptiert haben.

Die vergangenen neun Jahre haben gezeigt, dass Versuche, diese Ziele auf friedlichem Wege zu erreichen, zum Scheitern verurteilt sind. Die beiden Pakete der Minsker Abkommen sowie die Istanbuler Vereinbarungen wurden von Kiew und seinen Sponsoren als Gelegenheit bloß genutzt, um aufzurüsten.

Jetzt erwacht der militärisch-industrielle Komplex der NATO aus seinem Dornröschenschlaf, der seinen Appetit seit dem Ende des Kalten Krieges erheblich reduziert hatte. Bis zum Wiederaufbau der früheren Kapazitäten wird es noch einige Jahre dauern. Doch der "große Krieg in Europa", wie die Ukraine-Krise im Westen genannt wird, ist es wert, davon ist Washington überzeugt.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen auf RIA Nowosti.

Dawid Narmanija ist ein russischer Kolumnist und Blogger.

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